„Wir brauchen ein neues Verständnis von Digitalwerbung“

Matthias Ehrlich zählt zu den renommiertesten Digital- und Media-Experten. Seit Oktober 2013 ist er CEO von Ehrlich Strategies München (Quelle: ehrlich // strategies)

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Die Digitalwerbung ist schon längst den Kinderschuhen entwachsen und strotzt dieser Zeit vor jugendlichem Enthusiasmus. Eine kritische Phase der Entwicklung, in der der Gesetzgeber Regeln und Standards schaffen muss. Denn der digitale Werbemarkt der Zukunft soll transparent sein und qualitativ hochwertige Inhalte bieten. Im vierten Teil unserer Kommentar-Reihe zum Thema Zukunft der digitalen Werbung sieht Matthias Ehrlich Politik und klassische Verbände in der Verantwortung, die Weichen für eine digitale Zukunft mit hohen Qualitätsstandards und ausreichend Transparenz zu stellen.

„Digitalwerbung wird nicht nur bleiben – alle klassischen Medien und mit ihnen die jeweilige gattungsspezifische Werbung werden letztendlich in der Digitalität ankommen. Klassisches TV wird nur als Multiscreen IP-TV überleben, Out of Home boomt als Digital Out of Home und so weiter. Wer aber die Regeln schreibt, wird nicht zuletzt dadurch entschieden, wie wir durch die heutige Pubertät der Digitalwerbung kommen. Fakt ist: Wir brauchen ein neues Verständnis von Digitalwerbung.

Dazu müssen wir die Jugendsünden in den Griff bekommen. Wir haben Fraud kommen sehen, zugelassen, dass Retargeting als Stalking von Werbe- und Daten-Gegnern als willfähriges Argument gegen die ganze Branche verwendet wird, und Walled Gardens befördert. Tun wir endlich etwas dafür, kein Werbegeschäft ohne vernünftige Qualitätsregeln und -standards zu erlauben.

Adblocker gehören geblockt. Unsere Rechtsordnung ist nicht ‚digital-gerecht‘. Der ehrenwerte Versuch großer Player, über den Rechtsweg die Adblocker-Wegelagerei zu stoppen, scheitert. Deswegen muss der gesamte Markt, neben dem Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V. (BVDW) auch die klassischen Verbände, gemeinsam die neue Bundesregierung dazu bringen, die Gesetze zum Schutz digital gelieferter medialer Leistung mediengerecht zu gestalten.

Wir müssen dafür sorgen, dass Online als Qualitätsprodukt wahrgenommen wird und nicht zur Handelsware verkommt, in dem der Produktcharakter auf den reinen Kontakt reduziert wird. Programmatic muss sich als geniale Logistik der Qualität unterordnen und ihr dienen statt zur reinen Börsenlogik zu verkommen. Dazu gehört auch, dass wir endlich aus den medialen Silos rauskommen und in echtem Crossmedia denken: If you can´t beat them, join them. TV erlebt ein Revival, die Reichweiten sind ungeschlagen. Aber in der digitalen Welt bringt erst die interaktive Digitalergänzung das Sahnehäubchen oben drauf. Und schließlich brauchen wir Joint Industry Committees für ein ‚digitales Grundgesetz‘. Denn moderne Märkte sind Konsensmärkte. Solange wir erlauben, dass sich große Plattform-Player ihren Teil des Kuchens nach eigenen, intransparenten Regeln holen, wird der Markt insgesamt verlieren. Es ist die Aufgabe der Verbände, die Interessen aller zu verbinden. Daher: Der BVDW muss mit OWM und OMG Facebook, Google & Co. in unseren Markt einbinden.“

Über den Autor:

Matthias Ehrlich zählt zu den renommiertesten Digital- und Media-Experten der deutschsprachigen Medienwirtschaft. Seit über 10 Jahren engagiert er sich maßgeblich im Ausbau der Digitalwirtschaft in Deutschland und wirkte von 2007 bis 2015 als Vizepräsident beziehungsweise Präsident des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft e.V. Seit Oktober 2013 ist er CEO von ehrlich//strategies in München.

Weitere Artikel zum Thema

Lesen Sie auch die vorherigen Artikel unserer Gastbeitrags-Reihe zur Zukunft der digitalen Werbung:

Teil 1: Stefan Mohr, Geschäftsführer, Jung von Matt/next, erläutert unter anderem, weshalb er nicht mehr von Werbung, sondern eher von digitaler Marken-Kommunikation sprechen möchte. Weiterlesen 

Teil 2: Ulrich Kramer, Gründungsgesellschafter der Pilot-Agenturgruppe, darüber, warum die Zukunft digitaler Werbung in einem besseren Verständnis der Online-Mediennutzung liegt. Weiterlesen

Teil 3: Christine Riedmann-Streitz, Gründerin und Geschäftsführerin der MarkenFactory GmbH, erklärt, warum die Bedürfnisse des Kunden im Zeitalter digitaler Werbung in den Mittelpunkt gerückt werden muss und Kommunikation mehr Wertschätzung erfahren sollte. Weiterlesen

Alle Artikel der Reihe sind in der Clutch-Printausgabe (ET Herbst 2017) erschienen.

(Beitragsbild: Ehrlich Strategies)

Clutch-Redaktion