Von Alexander Becker.
Bei Tech-Innovationen denken die meisten fast schon automatisch an das Silicon Valley. Dabei gibt es auch zwischen Flensburg und Oberammergau unzählige innovative Unternehmen. In unserer Serie #TechMadeInGermany stellen wir genau diese Start-ups, Projekte und Konzepte vor.
Diesmal das junge Münchner Unternehmen NavVis. Kernangebot: Ein Scanner-Fahrzeug, das komplexe 3D-Karten von Gebäuden erstellt – von ihrem Inneren. Hört sich erst einmal nach Spielerei an, ist aber Big Business. Die Münchner betreiben mittlerweile Niederlassungen in den USA und Shanghai und konnten gerade über 30 Millionen Euro an frischem Kapital einsammeln.
Im Gespräch mit CLUTCH erklärt NavVis-CEO, Felix Reinshagen, sein „StreetView für Häuser“ und warum es sich rechnet, Technik-Produkte in München, statt im Silicon Valley zu entwickeln.
NavVis wird in der Presse gerne als „StreetView für innen“ beschrieben. Können Sie mit der Beschreibung gut leben?
Ist schon ok, darunter können sich viele Leute schnell etwas Konkretes vorstellen. Auf der anderen Seite greift das aber schon sehr kurz – die Detailgenauigkeit unseres Digitalen Zwillings ist sehr viel höher und es handelt sich nicht nur um Panoramabilder, sondern um komplette 3D-Scans der Gebäude, die dann für Planungsaufgaben, Messungen, kollaboratives Arbeiten und vieles mehr verwendet werden. Die StreetView-Analogie passt also am besten auf die einfache Benutzung und das erste Erscheinungsbild.
Warum sollte ich mein Gebäude von innen nach dem StreetView-Beispiel digitalisieren?
Die StreetView-ähnliche Benutzung macht sonst sehr komplexe 3D-Daten von Gebäuden mit vielen interaktiven Funktionen auf einmal ganz einfach und für einen sehr viel größeren Nutzerkreis verwendbar. Bisher waren 3D-Scans zusätzlich sehr teuer und langwierig in der Datenaufnahme. Auch das machen wir mit unserem mobilen Scanner M6 viel schneller und einfacher. Dazu kommt der gestiegene Datenbedarf im Rahmen der Digitalisierung. Kein Digitaler Prozess, wie beispielsweise in der Reparatur und Wartung oder bei der kontinuierlichen Verbesserung von Fabriken, kommt ohne gute – das heißt, detaillierte, korrekte und aktuelle – Daten aus. Und die liefern wir: schnell, günstig und einfach zu nutzen.
Auf der Webseite unter Mission heißt es: „Empower every enterprise with the easiest and most powerful way to build and operate their digital twin“. Das verstehe ich nicht so ganz. Was kann ich unter „digital twin“ verstehen?
Der sogenannte Digitale Zwilling ist eine digitale Entsprechung eines physischen Gegenstands. Das hat mit einzelnen Produkten angefangen. Das Auto wird heute komplett digital geplant: Es entsteht also ein Digitaler Zwilling, der das geplante Auto in allen Details abbildet, bevor überhaupt ein erster Prototyp gebaut wird. Zunehmend können jetzt als Digitale Zwillinge ganze Anlagen und Gebäude entstehen, die viele Eigenschaften der Realität abbilden und auch neue Funktionen ermöglichen. In der digitalen Welt kann dann vieles schneller und günstiger erarbeitet und durchgeführt werden als in der analogen Welt (Reisekosten, verschiedene Varianten ausprobieren, suchen, sortieren, versenden, teilen, kommentieren, etc.). Deswegen werden Digitale Zwillinge mehr und mehr als ein zentrales Element der Digitalisierung angesehen.
Eines unserer ersten Anwendungsbeispiele war das Deutsche Museum
Jetzt mal Butter bei die Fische. Können Sie ein ganz konkretes Beispiel nennen, von einem bekannten Haus, das sie vermessen haben und was das gebracht hat?
Eines unserer ersten Anwendungsbeispiele war das Deutsche Museum, dass Besucher bis heute mittels unserer Technik virtuell besuchen können. Besonders angesichts der aktuell laufenden Renovierungsarbeiten – die große Teile des Gebäudes unzugänglich machen – ein sehr schöner Mehrwert.
Aktuell liegt aber der Schwerpunkt auf Industrieanlagen, vor allem auf großen Autofabriken. Hier arbeiten wir mit den größten Herstellern der Welt zusammen und haben viele der bekannten Autofabriken in Europa, den USA und Asien digitalisiert. Diese digitalen Zwillinge sind nicht öffentlich zugänglich, zumal es sich hier um wichtige Geschäftsgeheimnisse der Produktion handelt. Der Mehrwert liegt in der digitalen Optimierung der Arbeitsprozesse von der Planung und Logistik bis zur Reparatur, Wartung und der kontinuierlichen Verbesserung. Die sogenannten Digitalen Zwillinge der Produktionsanlage spielen dabei eine immer bedeutsamere Rolle.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, NavVis zu gründen?
NavVis geht auf viele Jahre Grundlagenforschung zurück, die unser Mitgründer und CTO Dr. Georg an der Stanford University begonnen und dann an der Technischen Universität München (TUM) weitergetrieben hat. Nach wichtigen wissenschaftlichen und technischen Durchbrüchen 2009 und 2010 und ersten Patentanmeldungen haben wir dann ab 2012 im Gründerteam die Idee entwickelt, daraus eine Ausgründung zu machen. Die ursprüngliche Idee war noch sehr stark auf die Navigation von Consumern in Flughäfen oder anderen großen Gebäuden wie Museen und Malls ausgerichtet. Im Laufe der letzten fünf Jahre hat sich dann unser Geschäftsmodell mehr und mehr Richtung 3D-Scannen und schließlich hin zur Erstellung von sogenannten Digitalen Zwillingen von Industrieanlagen und anderen großen kommerziell genutzten Gebäuden entwickelt.
Im Vergleich zum Silicon Valley fallen in München noch immer nur „moderate Kosten“ an
Sie haben einen Firmensitz in München und in den USA. Wo liegen die Vor- und die Nachteile, wenn man ein Tech-Unternehmen in Deutschland aufbaut?
Wir haben inzwischen auch noch eine Niederlassung in Shanghai. Aber unser Hauptsitz ist in München. Hier findet alle Forschung und Entwicklung statt. Vorteile des Standortes sind die sehr guten Universitäten (wir sind eine Ausgründung der TUM), die enge Verzahnung mit der Industrie, unseren wichtigsten Kunden, und die, verglichen mit dem Silicon Valley, immer noch moderaten Kosten. Die Märkte USA und China sind für uns aber neben Europa die wichtigsten Absatzmärkte und deswegen müssen wir mit Vertrieb und Service auch vor Ort sein. Verglichen mit den USA ist der Zugang zu Angel- und Venture-Capital immer noch schwieriger und die Bewertungen niedriger als in den USA. Und: Deutschland ist als initialer Absatzmarkt zu klein. In anderen europäischen Ländern muss wiederum mit angepasster Sprache gearbeitet werden. Das verlangsamt die Skalierung.
Wenn Sie einen Wunsch an die Bundesregierung hätten, welcher wäre das?
Angel- und Venture-Capital weiter fördern. Den Zuzug von Fachkräften vereinfachen und universitäre Ausbildung (Bachelor und Master) komplett auf Englisch umstellen, damit die besten Talente bei uns studieren können ohne erst Deutsch lernen zu müssen.
(Beitragsbild: NavVis GmbH)
Dieser Text ist Teil der neuen Serie #TechMadeInGermany.
Bislang erschienen ist dabei unter anderem Stücke über Showheroes, Yukka Lab und Comtravo.