Von Alexander Becker.
Es war der 5. März 2018. Die CSU hatte gerade ihre Minister- und Staatssekretären-Riege für die Neuauflage der großen Koalition vorgestellt, als Dorothee Bär, die neue Staatsministerin für Digitales, im „heute journal“ ihre Pläne für die Cyber-Zukunft der Bundesrepublik erläuterte.
Im Laufe des Gesprächs frage die ZDF-Moderatorin Mariette Slomka immer wieder bohrend nach, wie es denn jetzt mit dem Breitbandausbau weitergehe? Bär fand des eher nervig und meinte schließlich bestimmt: „Digitalisierung ist ja nicht nur der Breitbandausbau.“ Das eigentliche Thema sei Mobilität, etwa autonomes Fahren, oder: „Hab ich die Möglichkeit, auch zum Beispiel mit einem Flugtaxi durch die Gegend zu können?“ Ihr Ziel sei viel mehr: „Visionen aufzeigen“.
Frei nach dem guten alten Helmut-Schmidt-Satz, dass wer Vision hat, lieber zum Arzt gehen sollte, wurde die Bär-Bemerkung schnell zum Meme. In den sozialen Medien war man sich fix einig: Mit dem Flugtaxi-Spruch hätte sich die CSU-Frau aber ganz schön blamiert.
Wenn das mal so stimmt. Denn die Flugtaxi-Story ist in Wahrheit alles andere als Science-Fiction – und gerade eine technikaffine Bayerin weiß das. Denn vor den Toren Münchens arbeitet das Start-up Lilium Aviation seit 2015 bereits an entsprechenden Jets.
Die Mission der Bayern: Jedermann soll jederzeit fliegen können – wohin er will. Hört sich nach hübschen PR-Blabla an, ist aber trotzdem nicht mehr aus der Luft gegriffen. Denn Lilium hat bereits vor fast zwei Jahren seinen Prototypen vorgestellt und erfolgreich den Jungfernflug absolviert.
Der voll elektrische Lilium-Jet startet senkrecht wie eine Drohne und wechselt dann in den horizontalen Flug wie ein klassisches Flugzeug. Sein Radius beträgt 300 Kilometer, was ihn bei einer Geschwindigkeit von geplanten 300 km/h in die Lage versetzen würde, innerhalb von einer Stunde von London nach Paris zu fliegen. Dabei sieht die Maschine mehr wie ein Auto als ein Flugzeug aus.
Passend zu der Taxi-Analogie sieht die Vision der Bayern vor, dass die Kunden in naher Zukunft einfach via App einen fliegenden Shuttle-Service ordern. Treffpunkt dann: die nächstgelegene offizielle Landestelle – mitten in der Innenstadt natürlich.
Wiegand ist „der Popstar der deutschen Start-up-Szene“
Für viele mag das verrückt klingen, aber die Chancen, dass es tatsächlich so kommt, sind aber gar nicht so schlecht. Immerhin haben die Gründer mittlerweile rund 100 Millionen Euro an Kapital eingesammelt. Unter anderem von Tencent oder Atomico. Bevor die Münchner ihre erste Finanzierungsrunde in trockenen Tüchern hatten, arbeiteten sie bereits alle zusammen in der Stundenbude von Daniel Wiegand.
Besagter Wiegand gründete Lillium zusammen mit Sebastian Born, Patrick Nathen und Matthias Meiner. Bekanntester Kopf der Vier ist dann auch Wiegand. T3n adelte ihn bereits als „Popstar der deutschen Start-up-Szene“. Er ist längst so etwas wie der Posterboy der neuen deutschen Ingenieursgeneration. Der 1985 in Tübingen geborene Flug-Fanatiker, meldete bereits zu Gymnasialzeiten sein erstes Patent an. Zudem gehört er zum elitären Kreis der „Jugend forscht“-Gewinner.
Seine große Leidenschaft ist die Fliegerei. So hatte Wiegand schon vor seinem Führerschein seine erste Fluglizenz in der Tasche. Die Legende will es, dass er schon lange von der Idee eines vertikal startenden Flugautos fasziniert war, denn immerhin sei es die platzsparendste Variante, um von jedem Punkt innerhalb einer Stadt aus abzuheben.
Kennengelernt haben sich die Gründer – wie so viele andere Start-up-Teams – beim gemeinsamen Studium. In diesem Fall an der Technischen Universität München.
Seit den Tagen in der Studentenbude ging es für das Team nur bergauf. Der Lilium-Jet sorgte längst weltweit für publizistisches Aufsehen. Trotzdem blieben die Gründer in Deutschland.
Anders, als es das gemeinhin so gerne strapazierte Narrativ von den Start-up-feindlich Bedingungen in Deutschland besagt, sieht sich Lilium nicht wirklich von der Bürokratie ausgebremst und auch unter einer besonders kritischen Grundstimmung scheinen die Bayern nicht zu leiden. Vielleicht, weil sie bislang immer die Unterstützung der Behörden auf ihrer Seite wussten. Selbst Angela Merkel zeigten die Münchner schon ihren Prototypen. Sollte sie Mitte 2020 noch Kanzlerin sein, kann sich die CDU-Politikerin schon einmal einen Vermerk in den Kalender machen, denn dann wollen die Ingenieure die Serienproduktion starten.
Bis dahin dürfte sich auch die Aufregung um die Staatsministerin Bär und ihre Flugtaxi-Träumereien gelegt haben. Gegenüber t3n nahm Wiegand die CSU-Politikerin bereits in dieser Sache in Schutz: „Nein, der Spott war absolut nicht angebracht“, erklärte er. „Dorothee Bär hat nämlich recht“.
Man kann sich fast schon vor seinem geistigen Auge ausmalen, wie Wiegand den Satz sagte und gleich in seinen Lilium-Jet stieg und geräuschlos, weil elektrifiziert, abhebt und davonfliegt.
Dieser Beitrag ist Teil der großen Clutch-Serie #TechMadeInGermany
(Beitragsbild: Image courtesy of Lilium)