„Wir als Krankenhäuser sind immer Reparaturanstalt gewesen – bislang“

Prof. Dr. Jochen A. Werner

Schon heute haben die Digitalisierung und die Methoden der Künstlichen Intelligenz die Medizin auf ein neues Level gehoben. Einer der umtriebigsten Streiter auf diesem Gebiet ist derzeit Prof. Dr. Werner von der Unimedizin in Essen. Der 60-Jährige macht uns allen Hoffnung. Denn er sagt: „Der richtig große Wurf kommt, wenn alle diagnostischen Fächer auf einer einheitlichen Datenbasis zusammengeführt werden. Dann werden wir Krankheiten identifizieren, die heute noch kein Mensch kennt.“ Sein Anliegen: „Ich möchte, dass auch die Patienten smart werden.“

Ein Interview von Andrea Buzzi.

Herr Prof. Dr. Werner, Sie leiten Deutschlands führenden Klinikkonzern für digitale Medizin. Was treibt Sie mit 60 Jahren persönlich an, das Thema Digitalisierung in der Medizin voranzubringen?

Ich selbst habe früher lange Jahre eine Klinik geleitet, schon mit Robotern operiert und selbst klinisch gearbeitet. Aber irgendwann sah ich für mich nicht mehr die großen Visionen, wie es etwa in der Chirurgie weitergeht. So kam die berufliche Veränderung und der Wechsel in das Krankenhausmanagement. Heute empfinde ich eine große Freude, für smarte Krankenhäuser und smarte Patienten zu werben. Ich nutze dafür viele Social-Media-Kanäle und jede Gelegenheit, um die jungen Leute und die Patienten auch zu erreichen. Nur so können wir aufklären und die Menschen dafür begeistern.

Erlebt E-Health gerade einen Innovationsschub oder steigt schlicht das mediale Interesse?

Es hat sicherlich ein gesellschaftlicher Diskurs stattgefunden, zum Beispiel über den Pflegenotstand und die überlasteten Menschen. Auch Herr Spahn geht Themen an, die bislang geschlummert haben. Immerhin sagt mal jemand was.

Gibt es auch technologische Durchbrüche in der Medizin?

Da hat sich ganz viel entwickelt und es wird noch viel mehr kommen. Seit Jahren ist die Radiologie digitalisiert, dort greift nun im nächsten Schritt künstliche Intelligenz bei der Bewertung von Röntgenbildern und anderen radiologischen Befunden. Der richtig große Wurf kommt aber erst, wenn alle diagnostischen Fächer auf einer einheitlichen Datenbasis zusammengeführt werden. Dann werden wir Krankheiten identifizieren, die heute noch kein Mensch kennt. Insbesondere KI hilft uns, Daten disziplinübergreifend auszuwerten und Muster zu erkennen. Das wird uns zu einer ganz anderen Medizin führen.

Fragen Patienten gezielt nach moderner Medizin, etwa mit KI?

Das ist genau meine Strategie. Ich möchte, dass auch die Patienten smart werden. Es kann nicht angehen, dass der Patient in der Klinik einen geringeren Service als in einem 3-Sterne Hotel auf Mallorca toleriert, in einer Lebensphase, wo er krank ist und Angst hat. Das kommt noch von dem Grundgedanken, dass der Patient geduldig und unterwürfig alles erduldet (Anm. d. Red.: Pati aus dem Lateinischen: dulden, leiden). Ich glaube, dass die Patienten selbst sagen müssen: Nein, damit bin ich nicht mehr einverstanden.

Könnte das Gesundheitssystem also schon viel weiter sein?

Absolut. Mit der heute verfügbaren Technologie sind die Missstände in Krankenhäusern nicht mehr begründbar. Die Mitte 50-jährigen Ärzte denken sicherlich auch oft, da komme ich noch mit durch bis zur Rente. Aber wir machen die Medizin nun mal nicht für uns, sondern für die jüngeren Leute. Man muss ganz klar sagen, es ist ethisch nicht vertretbar, dass man sich gegen bessere Medizin wehrt, nur aus Besitzstandswahrung und weil man digitale Technologien nicht mehr versteht oder ablehnt.

Könnte es für Krankenhäuser in Zukunft sogar ein Wettbewerbsvorteil sein, dass dort zum Beispiel KI in der Diagnostik angewendet oder eine VR-Anwendung in der Reha genutzt wird?

Ja, aber immer nur dann, wenn wir sagen können, wir bieten die modernste Medizin mit der höchsten Menschlichkeit. Man braucht einfach die menschliche Komponente. Das kann keine KI ersetzen. Wenn uns Medizinern ganz viel Arbeit durch KI abgenommen und vorgedacht wird, wird der Tag kommen, an dem der entstandene Freiraum in den menschlichen Kontakt investiert wird. Aber das muss noch gelernt werden, weil es nie ein signifikanter Teil der Ausbildung von Ärzten war.

Kommt es einem nur so vor oder erlebt die Medizin durch Digitalisierung und KI-Anwendungen gerade einen nie dagewesenen Quantensprung?

Stimmt, die Medizin hat sich noch nie so schnell entwickelt wie heute. In zehn Jahren werden wir in der Prävention, Diagnostik und Therapie so große Fortschritte machen, das können wir uns heute noch gar nicht vorstellen.

Glauben Sie, dass wir mit digitaler Technik und KI unsterblich werden?

Man kann schon heute durchaus Altersprozesse aufhalten und das Altern verlangsamen, weil wir Krankheiten zunehmen früher erkennen und besser behandeln oder sogar verhindern können. Und das bedeutet dann wieder länger zu leben. Allerdings nicht mit der Vorstellung der Unsterblichkeit. Aber 110 Jahre ist dann irgendwann kein Wunder mehr für die Menschen. Wir als Krankenhäuser sind bislang immer Reparaturanstalt gewesen. Das Smart Hospital orientiert sich an der Gesundheits- und Krankengeschichte – um sich möglichst schon pränatal, also vor der Geburt, mit dem Menschen zu befassen.

Kann eine KI gute medizinische Betreuung für alle Menschen auf dieser Welt finanzierbar machen?

Digitalisierung und KI machen die Medizin viel transparenter und damit effizienter. Zum Beispiel werden Doppeluntersuchungen vermieden, wenn alle Daten in einem System gespeichert sind. Viele Untersuchungen werden seltener gemacht und genauer indiziert. Auch wegen medizinischer Entscheidungshilfen wie Ada Health wird Medizin immer billiger werden. Allerdings werden Medikamente immer teuer. Unterm Strich bleibt vielleicht nicht mehr Geld übrig, aber es wird in Zukunft besser verteilt.

Wenn schon nicht unbedingt billiger, dann aber immerhin besser, oder?

Ja, die Medizin wird definitiv besser durch KI, die Diagnostik wird genauer und die Fehlerquote sinkt. Die Patientensicherheit wird höher.

Überzeugend. Aber wie erklären Sie einem normalen Patienten, dass KI in der Medizin gut für ihn ist?

Durch Beispiele. Zum Beispiel lernen Maschinen ganz systematisch, Röntgenbilder zu untersuchen. KI kann dabei nicht ermüden und ist auch nicht fixiert auf eine Verdachtsdiagnose, der Mensch aber schon. Und auch der Zeitgewinn führt dazu, das der Arzt dann mehr Zeit für das Patientengespräch hat. Das verstehen die Menschen eigentlich sofort. Überhaupt ist der Mensch der zentrale Ansatzpunkt. Wir dürfen bei aller Supertechnologie, die es heute schon gibt, und die noch viel besser wird, den Menschen nicht vergessen. Wenn es uns nicht gelingt, die Menschen bei diesem Veränderungsprozess mitzunehmen, dann werden wir die technologischen Vorteile nicht nutzen können.

Kann KI eigentlich auch mal krank werden?

Naja, nicht direkt. Aber KI ist auch kein Freifahrtschein für eine perfekte Medizin. KI muss genauso wie ein Medikament einen Zulassungsprozess durchlaufen.

Ist die Sorge im Bereich Datenschutz bei digitalen Gesundheitsanwendungen aus Ihrer Sicht wichtig oder rechtfertigt der unmittelbare Nutzen für die menschliche Gesundheit auch ein bisschen Risiko?

Man muss Risiken eingehen, weil Datenschutz nicht dazu führen darf, dass Menschen unnötig krank werden oder sterben. Das ist nicht tolerabel. Im Gegenteil, es kommt sogar zu Schäden, wenn Patientendaten verloren gehen, weil sie nicht übertragen werden und für eine Therapie nicht hinzugezogen werden können. Wenn der Patient dann falsch behandelt wird und stirbt, das ist unverzeihlich! Deswegen muss man in Sachen Datenschutz ein gesundes Mittelmaß finden.

Vielen Dank für das Gespräch Prof Dr. Werner.

Wer noch mehr über E-Health hören will, dem sei der Podcast Digi Health Talk von David Matusiewicz und Prof. Dr. Jochen Werner empfohlen.

Dieser Artikel ist Teil der neuen Clutch. Das Technologie- und Gesellschaftsmagazin beschäftigt sich in dieser Ausgabe monothematisch mit dem Thema künstliche Intelligenz. Das Heft lässt sich hier bestellen. Sie zahlen nur so viel, wie Ihnen das Magazin wert ist.

(Beitragsbild: Frank Lothar Lange)

Clutch-Redaktion