Radiologie: Software RadioReport schafft Standards, wo keine sind

Die heutige Radiologie ist echte High-Tech – eigentlich. Während die Bildgebungsverfahren immer digitaler werden, sprechen viele Radiologen ihre Befunde immer noch ganz analog mit dem Diktiergerät ein. Die Folge: Jeder Arzt macht ein bisschen so, wie er denkt. Es gibt bei der bisherigen Befundung keine Standards, dafür aber immer wieder viele Fehler – und sie dauert länger, als sie eigentlich müsste. Genau das will Neo Q jetzt ändern. Das interdisziplinäre Team aus Radiologen und Softwarespezialisten hat einen virtuellen Assistenten entwickelt, der Radiologen die Befundung deutlich erleichtern soll. Das Interesse ist jetzt schon enorm.

Eigentlich wollten die Neo Q-Macher Jan Wintzer, Oliver Aretz und Alexander Huppertz ihre neuartige Software RadioReport erst Ende Januar breit auf den Markt bringen. Doch schon vor dem offiziellen Start war die Nachfrage so groß, dass sie kurzerhand schon im Dezember 2020 launchten. In anderen Worten: Neo Q hat offenbar einen Nerv getroffen – denn wie in der Radiologie bislang Befunde erstellt werden, ist schon seit Jahrzehnten ein Problem. „Der entscheidende Punkt ist, dass es keine Standards bei der Befundung gibt“, erklärt Co-Gründer Jan Wintzer. Jeder Bericht sieht demnach unterschiedlich aus. Die Ärzte würden zum Beispiel oft nach eigenem Dünken das jeweilige Krankheitsbild beschreiben. „Wenn man heute drei Radiologen denselben Tumor zeigt, sagt der eine Tumor, der nächste sagt Läsion und der Dritte sagt Raumforderung. Und dann fragt man sich, ob alle das gleiche meinten oder ob sie etwas anderes da hineininterpretieren“, betont Alexander Huppertz, ebenfalls Co-Gründer, im Gespräch mit der Gründerszene.

Befunde: Ein Zeitfresser für Ärzte

Einer Studie zufolge weisen etwa ein Drittel der radiologischen Befunde falsche oder missverständliche Begriffe auf. Gerade für den Patienten hat das Folgen. Denn die Radiologie ist ein wichtiges Bindeglied zu anderen medizinischen Fachgebieten und spielt bei der Entscheidung für die richtige Therapie eine tragende Rolle. Da ist es besonders wichtig, dass alle die gleiche Sprache sprechen. Dazu kommt: Die bisherige Form, Befunde zu erstellen, dauert. Das Diktieren. Das Transkribieren. Die Kontrolle. Das Übertragen zum weiterbehandelnden Arzt. Im Schnitt dauert all das etwa 17 Minuten pro Befund. Zur Orientierung: Ein Radiologe in einer Klinik erstellt am Tag durchschnittlich 60 bis 80 Befunde. An einem normalen Arbeitstag ist das Pensum also nicht zu schaffen.

Virtueller Assistent erstellt Befunde schneller als ein Arzt

Alexander Huppertz ist selbst seit 20 Jahren als Radiologe tätig und ein anerkannter Experte auf dem Gebiet. Er war von der bisherigen Befundung genervt. „Die Bilder wurden immer besser, aber der Befundungsstil war wie vor 20 Jahren.“ Über gemeinsame Projekte lernt er den Gesundheits-Marketing-Profi Jan Wintzer und den UX-Designer Oliver Aretz kennen. Gemeinsam entscheiden sie: Sie wollen nicht nur eine neuartige Software für Radiologen erfinden, sondern mit einer neuen Methode nichts Geringeres als deren Alltag revolutionieren. Schritt für Schritt denken sie sich in den Kopf eines Radiologen hinein und entwickeln über fünf Jahre hinweg einen virtuellen Assistenten, der genau versteht, wie der Arzt tickt. Die Methode nennen sie Guided Reporting, die Software dazu „RadioReport“. Dieser Assistent führt in etwa acht Minuten – also der Hälfte der bisherigen Zeit – den Arzt systematisch durch ein Entscheidungsmuster, das keine Mehrfachdeutungen zulässt. Grafische Auswahltools und klare Informationsabfragen helfen dem Arzt durch den Befundungsprozess. „Am Ende steht ein qualitativ hochwertiger, übersichtlicher und lückenloser Bericht, der alle relevanten Informationen enthält und gut verständlich ist“, erläutert Jan Wintzer die neuartige Lösung.

Ziel sei es, dass sogar Laien ein zweites automatisch erzeugtes Befundformat ohne Fachbegriffe verstehen können. Alexander Huppertz fügt hinzu: „Ich sehe in meiner täglichen Praxis, dass Patienten die Befunde verstehen wollen. Das ist der erste Schritt, um eine spätere Therapie anzunehmen.“ 23 Module decken dabei das gesamte MRT- und CT-Spektrum ab. Von der Wirbelsäule bis zum Knie.

Die Radiologie der Zukunft

Man merkt schnell, Huppertz, Wintzer und Aretz denken groß. Sie wollen mit ihrem RadioReport radiologische Diagnosen erstmals vergleichbar machen. Anders als mit Diktaten sollen Institutionen, Praxen, Krankenhäuser oder Unternehmen so großangelegte und qualitativ hochwertige Datenanalysen erstellen können – die Studien daraus kämen unmittelbar den Patienten zugute. „Die Wissenschaft kann von den Big Data-Analysen profitieren. Außerdem werden Radiologen künftig über unsere Plattform voneinander lernen können“, erklärt Huppertz. Aus den verfügbaren Berichten soll schnell eine Datenbank entstehen, in der Radiologen bestimmte Befunde recherchieren und miteinander vergleichen können. Die Daten, so verspricht Neo Q, werden natürlich anonymisiert.

Die Unternehmer von Neo Q haben noch ein weiteres Ziel: Sie wollen die Radiologiebefundung internationalisieren. Gut qualifiziere Ärzte aus dem Ausland können auch ohne Deutschkenntnisse in ihrer Sprache den Befund erstellen – und andersherum. Denn auch die Übersetzungen sind standardisiert. Radiologen könnten so auch eine Zweitmeinung von einem internationalen Spezialisten einholen und sich auch insgesamt besser austauschen. Wenn alles so klappt, wie Neo Q sich das vorstellt, ist die Radiologie künftig eine ganz andere als heute.

Clutch-Redaktion