Mit zweimonatiger Verspätung startet endlich die Corona-App der Bundesregierung. Ihr Erfolg hängt von der Frage ab, wie viele Menschen mitmachen. Bei reinen Entwicklungskosten von schon 20 Millionen Euro ist das Projekt eigentlich zum Erfolg verdammt. Doch wie bewerten echte Digital-Experten die Erfolgschancen der App? Neben unserer C-Level-Umfrage, haben wir mit den KI-Spezialisten Markus Frondorf von Anacision und dem digitalen Gesundheitsexperten Willms Buhse (doubleYUU) zwei weitere Kenner gefragt. Das Resultat ist ein Pro und Kontra.
Willms Buhse, Gründer und CEO der Hamburger Managementberatung doubleYUU sowie des Weiterbildungspartners d-cademy:
„Als Digitalbeirat einer großen Krankenkasse könnte man jetzt kritteln, dass die App so spät kommt. Vielmehr finde ich es gut, dass sich alle Beteiligten auf ein offenes und transparentes Vorgehen geeinigt haben als auf einen Schnellschuss in alten Denkmustern. Das durchschlägt so manch einen Datenschutzknoten, den es in der Vergangenheit gab. Zudem begeistert mich, dass das App-Konzept den Menschen und seine Selbstverantwortung in den Mittelpunkt stellt. Damit lebt die App eine europäische Identität vor. Amerika stellt traditionell die Wirtschaft in den Mittelpunkt und China den Staat. Es bleibt nur zu hoffen, dass die neue App – wenn gut implementiert – auch großflächig genutzt wird. Wenn ja, kann sie ein wesentlicher Schritt zu einem Mehr an Digitalisierung sein und helfen, die deutsche Technikskepsis in der Gesundheitsbranche abzubauen. Eigentlich sollte eine Gesundheits-App so selbstverständlich wie eine Wetter-App sein.“
Markus Frondorf, Geschäftsführer Anacision:
„Grundsätzlich ergibt sich durch eine Corona App die Möglichkeit, eine Viren-Pandemie oder Ähnliches mit neuen Mitteln – also datengetrieben – zu lösen bzw. dem zu begegnen. Auch der Datenschutz – ein sehr heikles Thema in diesem Kontext – wurde wohl bei der aktuell geplanten Version angemessen berücksichtigt – zumindest nach dem, was in der Presse zu lesen ist.
Allerdings ist die Sinnhaftigkeit infrage zu stellen. Die Anzahl der notwendigen Nutzer muss wohl größer als „ein paar Millionen“ sein, um den gewünschten Effekt zu erreichen. Es wird von 60 Prozent gesprochen, die auf freiwilliger Basis schwer zu erreichen sein werden. Eine Pflicht wäre natürlich nicht akzeptabel.
Darüber hinaus: In meiner Schulzeit haben wir den Film „1984“, nach dem dystopischen Buch von Georg von Orwell, im Kino gesehen. Dieser hat bis heute bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Obwohl die Möglichkeiten, durch die Erfassung dieser Daten zukünftige Probleme zu lösen, schon sehr groß wären, halte ich allerdings den Eingriff in die Privatsphäre für sehr bedenklich. Er ist zu weitreichend.“
Foto: SAP SE