KI und Tod: Mal schnell mit der toten Oma chatten

Seit jeher träumt die Menschheit davon, den Tod zu überwinden. Auch heute arbeiten zahlreiche Unternehmen an der Unsterblichkeit. Helfen soll ihnen dabei künstliche Intelligenz, mit der sie Bots nach dem Vorbild echter Menschen programmieren können. Für die einen klingen die Pläne nach einer echten Verheißung. Für die anderen nach blankem Horror.  

Ein Anruf. Eine Stimme. Und plötzlich fällt alles in sich zusammen. Bei Eugenia Kuyda sagte die Stimme, dass ihr bester Freund Roman einen Autounfall gehabt hätte. Er sei sofort tot gewesen. Die Amerikanerin wollte das nicht hinnehmen – sie nahm die Chats, die sie mit Roman geführt hatte und baute aus ihnen einen Bot, der die Wörter immer genauso zusammensetzte, wie Roman es getan hatte. Jeden Abend erzählte sie ihm von ihrem Tag. Und Roman, der Bot, antwortete dank künstlicher Intelligenz so, wie es sein menschliches Vorbild getan hätte. Eugenia Kuyda hatte einen digitalen, unsterblichen Zwilling von Roman erschaffen – der Beginn ihres Unternehmens Replika, das Menschen heute virtuelle Freunde zur Verfügung stellt, mit denen sie chatten können. Auch Microsoft hat im Januar dieses Jahres ein Patent angemeldet, mit dem Verstorbene zu einem Chatbot werden können.

Eine ganze Industrie widmet sich dem digitalen ewigen Leben

„Wir erleben gerade, dass es einen neuen Versuch gibt, unsterblich zu werden“, sagt Hans Block, Autor des Buches „Die digitale Seele“ auf Deutschlandfunk Kultur. Heute ginge es aber gar nicht mehr darum den Körper unsterblich leben zu lassen, „sondern uns als digitale Klone im Netz weiterleben zu lassen“. In dem Interview erzählt er von einer Witwe, die den Bot ihres verstorbenen Mannes fragte, ob er sie noch lieben würde. Und in Tränen ausbrach, als dieser mit ja antwortete. Was klingt wie eine Folge der dystopischen Netflix-Serie Black Mirror, ist bereits zu einer ganzen Industrie entwachsen. Wissenschaftler aus Oxford sprechen von einer „Digital After-Life-Industry“. Dazu gehören jene Algorithmen, die mit den Stimmen der Verstorbenen sprechen, genauso wie Anbieter, die aus Fotos von toten Verwandten Videos machen.

Friedhof digital

Fast schon harmlos wirken dagegen Erinnerungsseiten auf Facebook, für die es wiederum Unternehmen gibt, die sich um das digitale Vermächtnis kümmern. Und das scheint notwendig: Eine Studie aus Oxford kommt zu dem Schluss, dass in 50 Jahren etwa die Hälfte der Facebook-Profile zu toten Menschen gehören werden – ein digitaler Friedhof sozusagen. Kriminelle freuen sich, denn wer an das Passwort der Toten kommt, kann schnell deren Identität annehmen. Quasi unbemerkt.

Gleichzeitig digitalisiert sich zunehmend alles, was zum Tod dazugehört. In Japan zum Beispiel ermöglichen Firmen wie Memolead oder Life Ending Bestattungen zu streamen und über Onlinebezahlsysteme auch finanziell zu kondolieren. In der Pandemie, in der Bestattungen nur im kleinen Kreis möglich sind, hat sich das als durchaus sinnvoll erwiesen.  Wieder andere Anbieter ermöglichen es, aus Fotos von verstorbenen Verwandten Videos zu machen.

Elvis lebt

Die Fantasien der Macher hinter der „Digital After-Life-Industrie“ sind weitreichend. Es geht nicht mehr allein darum, mit der toten Oma zu chatten. So träumen einige von ihnen davon, die Gedanken von herausragenden Wissenschaftlern, Politikern oder Künstlern über ihren Tod hinaus zu erhalten. Stars wie Amy Winehouse, Whitney Houston oder Michael Jackson könnten auch als Tote neue Songs komponieren und als Hologramme Konzerte geben. Helmut Schmidt könnte die Lage in Deutschland kommentieren, Steven Hawking uns weiter das Universum erklären. Alles anhand ihrer digitalen Daten, die sie im Netz oder auf ihrem Handy hinterlassen haben. Frage ist dabei: Die jeweiligen Personen sind auch immer Personen ihrer Zeit. Passen die Kommentare von einem Altbundeskanzler noch in die Lebenswelt in 100 Jahren, die vermutlich sehr anders aussehen wird?

Viele ethische Fragen ungeklärt

Auch sonst stellen sich viele, vor allem ethische Fragen. „Nur weil etwas technisch möglich ist, bedeutet das nicht, dass die Menschen auch bereit dafür sind“, betont der Soziologe Carl Öhmann. Helfen solche Technologien zum Beispiel bei der Trauerarbeit oder verhindern sie diese eher, weil Menschen den Tod nicht mehr akzeptieren? Was macht es zum Beispiel psychisch mit einem Kind, ständig mit seiner toten Mutter zu chatten? Erschrickt nicht jeder, wenn er eine SMS von einem Toten bekommt? Wie bleiben die ganzen Daten eigentlich geupdatet, wenn sich alle paar Jahre technische Systeme weiterentwickeln? Und wem gehören eigentlich die Daten und vielleicht auch die Geheimnisse eines Toten? Die Rechtsprechung gibt da bisher keine klaren Antworten.

Bei Black Mirror (Achtung Spoiler) geht das Experiment, einen Toten digital am Leben zu erhalten, übrigens schief. Denn so leicht macht es einem der Tod nicht. Letztlich wird es die persönliche Entscheidung eines jeden Einzelnen sein, ob er entsprechende Services nutzen möchte oder nicht – und zu welchem Preis. Es wird ein Kampf zwischen Neugierde und Grusel.

Clutch-Redaktion