„Es gibt zu viele Dinge, die wir Menschen selber machen müssen und daher „Arbeit“ nennen“

In Sachen europäischer KI ist Fabian Westerheide ein im positiven Sinne Getriebener. Als Investor und Mastermind der führenden europäischen Konferenz gehört er fraglos zu den wichtigsten KI-Köpfen der DACH-Region. Wir haben ihn und Experten Fragen zu ihrem Schaffen und der Zukunft der Technologie gestellt.

Herr Westerheide, an was arbeiten Sie gerade? Was ist Ihr wichtigstes Projekt?
Derzeit ist mein wichtigstes Projekt der Aufbau eines starken europäischen Ökosystems für künstliche Intelligenz. Innerhalb dessen versuche ich durch eine Vielzahl von Tätigkeiten etwas beizutragen. Zum einem investiere ich mit dem Asgard.vc in europäische KI-Firmen. Zum anderem veranstalte ich mit Riseof.ai jedes Jahr die führende europäische Konferenz für die wichtigsten Köpfe der KI-Industrie. Zusätzlich bin ich viel unterwegs beim Mittelstand, Bundestag, Behörden, Parteien und auf EU-Ebene, um über künstliche Intelligenz aufzuklären und die Dringlichkeit des Themas zu unterstreichen. 

Ist KI ein Fluch oder ein Segen für unsere Gesellschaft?
Künstliche Intelligenz ist ein Segen und kann ein Fluch werden. Damit künstliche Intelligenzen einen Mehrwert für unsere Gesellschaft liefern, müssen diese unsere Werte repräsentieren. Das geht nur, wenn diese KIs in Europa entwickelt, betreut und gesteuert werden. Wenn wir das erreichen, dann kann künstliche Intelligenz uns Unmengen an Arbeiten abnehmen, unsere Gesundheit verbessern, uns helfen glücklich zu sein und ein sorgenfreies Leben zu führen.

Doch wenn wir die Kontrolle über die künstlichen Intelligenzen verlieren, können diese missbraucht werden für Kontrolle, Ausbeutung und Manipulation. Dies gilt es  daher zu verhindern, indem wir uns unabhängig machen von nicht europäischen künstliche Intelligenzen und stattdessen unsere eigenen Technologien entwickeln, kontrollieren und verwenden. 

Wird es den Job, den Sie haben, in 20 Jahren noch geben?
Ich habe keinen Job. Ich bin ich und mache jeden Tag das, was mir gefällt. Zudem mag ich das Wort „Job“ nicht, es ist ein Anglizismus. In Deutschland verwenden wir doch lieber das Wort „Beruf“, abgleitet von „Berufung“. Ja, ich habe eine Berufung. Dieser folge ich täglich. Für diese gebe ich viel Zeit, Energie und Herzblut.

Daher mache ich mir keine Sorgen um die Zukunft. Stattdessen hoffe ich doch, dass Maschinen schon bald die Tätigkeiten übernehmen, die ich ungerne mache. Es gibt nach wie vor viel zu viele Dinge, die wir Menschen selber manuell machen müssen und daher „Arbeit“ nennen. 

Wenn wir künstliche Intelligenzen richtig einsetzen, brauchen wir keine Jobs mehr. Im Leben sollte es darum gehen, die „freie Zeit“ zu maximieren, nicht die „arbeitende Zeit“. Maschinen werden genau dafür geschaffen – uns Arbeit abzunehmen. Wenn man dies einmal akzeptiert hat, kann man sich auf eine sorgenfreiere Zukunft freuen. 


Was müssen wir jetzt anpacken, damit wir in 20 Jahren glücklich mit KIs zusammenleben können?
Wir müssen JETZT anfangen, ein europäisches KI-Ökosystem zu erschaffen. Das bedeutet, wir brauchen starke Forschung und müssen diese Ergebnisse in die Wirtschaft übertragen. Junge Firmen brauchen Finanzierungen und etablierte Firmen brauchen Hilfe beim Transformationsprozess. Unsere Politik muss eine Vision für Europa entwickeln und dabei alle Europäer einbeziehen. Aus dieser Vision wird eine Strategie abgeleitet und umgesetzt.

Wir brauchen einen starken europäischen Binnenmarkt für Daten. Klare Regeln, wie wir mit ausländischen Algorithmen umgehen und diese kontrollieren. Wir brauchen neue Konzepte für die Bildung der nächsten Generation sowie der aktuellen Generation – angepasst an die Anforderungen der Zukunft. 

Ebenso müssen wir uns überlegen, wie wir den sozialen Frieden bewahren. Wie wir unsere Kinder erziehen, dass diese ihren Interessen folgen und nicht zu Lohnsklaven einer Industriegesellschaft erzogen werden. Wir brauchen Menschen mit Neugierde, Leidenschaft und Lebensfreude in unserer Gesellschaft. 

Wenn wir die Zukunft als Chance begreifen, können wir sie für uns gestalten. Dann werden wir die Maschinen nutzen, damit alle Menschen auf dieser Welt ein glücklicheres und längeres Leben haben. 

Das Interview führte Andrea Bittelmeyer.

(Beitragsbild: Originalfoto: Kopf & Kragen, modifiziert von Deepart.io im Stile von Gerhard Richter)

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Clutch-Redaktion