Wie steht es um die Tech-Zukunft, Joel Kaczmarek? „Der deutsche Mittelstand ist aufgewacht. Es setzt ein digitaler Aufbruch ein“

Joel Kaczmarek im Interview mit Clutch über den Start-up Standort Deutschland (Bild: Joel Kaczmarek)

Von Alexander Becker.

Wie steht es um den Gründerstandort Deutschland und ist #TechMadeInGermany wirklich ein neues Qualitätssiegel, wie wir es in unserer Serie propagieren? Das wollten wir wissen und haben Joel Kaczmarek gefragt. Der Macher von Digital Kompakt ist nicht nur ein erfolgreicher Podcaster (Spotify, iTunes), hervorragender Branchen-Journalist, sondern war auch langjähriger Chefredakteur von Gründerszene. Er kennt die deutsche Start-up-Landschaft wie kaum ein anderer. Im Interview mit CLUTCH stellt er fest: „Der deutsche Mittelstand ist im Begriff, aufzuwachen, was sich an über 100 Digitalisierungsprogrammen ablesen lässt. Unter dem Strich setzt also ein Aufbruch ein, dem aber noch einiges folgen muss“.

Er selbst würde vor allem in den Bereichen Umwelt und Soziales investieren. „Hier tut sich für meinen Geschmack noch zu wenig. Tagtäglich erreichen uns dystopische Nachrichten über unseren Planeten, aber gefühlt sehr wenige Gründer nehmen sich dieser Thematik an.“

Kein gutes Haar lässt Kaczmarek an der Unterstützung durch die Behörden und die Regierung. „Momentan hilft die Politik allenfalls dadurch, dass sie relativ wenig im Weg steht. Wann immer ich mit deutschen Politikern zu tun habe, stelle ich ein erschreckendes Level an Unwissenheit zu Digitalthemen fest.“ Er fragt sich zudem: „Warum deutschen Start-ups nicht mehr dabei geholfen wird, Wettbewerbsvorteile gegenüber dem internationalen Wettbewerb zu erlangen, erschließt sich mir oft nicht. Das fängt ja schon bei der geringeren Besteuerung der großen GAFA-Unternehmen (Google, Amazon, Facebook, Apple) an oder etwa bei chinesischen Playern, die durch das Einsparen von Zöllen, Lohnnebenkosten usw. Margenvorteile im zweistelligen Bereich erzielen können.“

Wie innovativ sind wir heute in Deutschland. Ist die Zeit der Ingenieure und Tüftler hierzulande vorbei?

Es gibt durchaus Teams, welche die Bereitschaft haben, innovative Ideen anzugehen, allerdings stößt dies im hierzulande gewachsenen Ökosystem nicht unbedingt auf fruchtbaren Boden. Einerseits fehlen uns große Plattformplayer wie Facebook, Amazon, Google oder Apple, die selbst viel in Forschung und Entwicklung investieren, um relevant zu bleiben. Und andererseits ist die Finanzierungsdecke dünner und eher auf Geschäftsmodelle mit einem Proof of Concept angelegt. Mit Ausnahme des B2B-Sektors und dem Fertigungsbereich präsentiert sich die deutsche Digitalbranche also im weltweiten Vergleich in der Tat nicht gerade als Vorreiter. 

Ist die deutsche Start-up-Szene besser als ihr mauer Ruf?

Das kommt vielleicht auf den Betrachtungswinkel an. Wenn ich mir die Entwicklung anschaue, war es zum Ende der Nullerjahre noch so, dass sich deutsche Start-ups primär auf das Kopieren von Ideen spezialisiert hatten und die Investorenlandschaft vergleichsweise klein war. Inzwischen sind wesentlich mehr Geldgeber auf den Markt getreten, investieren auch ausländische Wagniskapitalgeber in Deutschland und Start-ups trauen sich auch komplexere Themen zu. Und vor allem: Der deutsche Mittelstand ist im Begriff aufzuwachen, was sich an über 100 Digitalisierungsprogrammen ablesen lässt. Unter dem Strich setzt also ein Aufbruch ein, dem aber noch einiges folgen muss.

Gibt es etwas, was die deutschen Gründer besser können, als andere?

Sie sind vielleicht detailversessener und denken sehr problemlösungsorientiert. Im Start-up-Umfeld, wo es schneller Anpassungsbereitschaft bedarf, muss dies aber nicht immer von Vorteil sein.

Was bräuchten junge Unternehmer am dringendsten: mehr Geld, mehr PR oder mehr Talente?

Mehr Geld, vor allem auf der Brücke zu den ersten größeren Finanzierungen – sprich: zur Series A und B. Daneben wäre es sicherlich auch hilfreich, wenn der deutsche Mittelstand seine Aktivitäten im Digitalbereich weiter ausbaut.

Was sind die größten Boom-Felder derzeit?

In den Bereichen Mobilität, Künstliche Intelligenz und Software-as-a-Service tut sich gerade so einiges. Spannend wird es, wenn nun auch zusehends die Geschäftsmodelle im Bereich Fertigung und B2B den Digitalisierungsschub für sich erfahren.

Wenn Sie kapital hätten, wo würden Sie investieren?

Ich würde mir den Fertigungsbereich genau anschauen und was sich im Bereich B2B so tut. Hier dürften noch signifikante Wertschöpfungsketten gehoben werden.

Wenn Sie mehr Zeit hätten, in welchem Bereich würden Sie gründen?

Im Bereich Umwelt und Soziales. Hier tut sich für meinen Geschmack noch zu wenig. Tagtäglich erreichen uns dystopische Nachrichten über unseren Planeten, aber gefühlt sehr wenige Gründer nehmen sich dieser Thematik an. Gründungen wie Ecosia bilden hier eine schöne Ausnahme und diesen Bereich würde ich vermutlich intensiver angehen. Im Kleinen versuchen wir bei Digital Kompakt aber auch, solchen Fragestellungen Rechnung zu tragen, etwa durch unseren CleanTech-Podcast „Deep Dive CleanTech“ oder viel Aufklärung zu Umweltthemen.

Sie haben schon so viele Gründer große Unternehmen aufbauen und viele auch scheitern sehen. Was würden Sie Gründern raten?

Viel Wert auf eine gute Teamzusammenstellung zu legen und sich umfangreich zum Thema Führung coachen zu lassen. Dies kann durch Erfahrungsaustausch mit anderen Gründern, Mentoren oder Coaches erfolgen. Daneben würde ich immer versuchen, reale Probleme zu lösen und dafür nah am Nutzer zu sein. Wichtig ist dann vor allem auch, erstmal anhand aufwandsarmer, klein gefasster Prototypen die eigenen Hypothesen zu testen, anstatt sich in den Elfenbeinturm einzuschließen und umfangreiche Alleskönnerlösungen zu bauen.

Haben junge Unternehmen genügend Unterstützung durch die Politik?

Momentan hilft die Politik allenfalls dadurch, dass sie relativ wenig im Weg steht. Wann immer ich mit deutschen Politikern zu tun habe, stelle ich ein erschreckendes Level an Unwissenheit zu Digitalthemen fest. Dort geht es dann meist nur um Datenschutz und Risikovermeidung. Sprich: die deutsche Politik versucht sich stets an „Downside Protection“ anstatt „Upside Elevation“ – es geht also mehr darum, Risiken zu minimieren als Chancen zu erhöhen.

Wenn ja, was muss besser werden?

Das Ausmaß an Förderung darf gerne größer werden, genauso wie die Vernetzung mit größeren Unternehmen. An und für sich hätte eine Abschottung des europäischen Marktes sicher auch gut getan – man denke nur an China, wo ein ganz eigenes Ökosystem entstanden ist – aber dieser Zug ist sicher abgefahren. Warum deutschen Start-ups nicht mehr dabei geholfen wird, Wettbewerbsvorteile gegenüber dem internationalen Wettbewerb zu erlangen, erschließt sich mir oft nicht. Das fängt ja schon bei der geringeren Besteuerung der großen GAFA-Unternehmen (Google, Amazon, Facebook, Apple) an oder etwa bei chinesischen Playern, die durch das Einsparen von Zöllen, Lohnnebenkosten usw. Margenvorteile im zweistelligen Bereich erzielen können.

(Beitragsbild: Joel Kaczmarek)

Clutch-Redaktion