„Es gilt, rechtliche Errungenschaften vor Zugriffen durch die Technologie zu schützen“

Als Technologin und Juristin beschäftigt sich Yvonne Hofstetter mit der Schnittstelle zwischen Technik und Recht. Der Autorin des KI-kritischen Buches „Sie wissen alles: Wie intelligente Maschinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen“ geht es darum, rechtliche Errungenschaften vor Zugriffen durch die Technologie zu schützen. Hofstetter gehört fraglos zu den wichtigsten KI-Köpfen der DACH-Region. Diesen haben wir Fragen zu ihrem Schaffen und der Zukunft der Technologie gestellt.

Frau Hofstetter, an was arbeiten Sie gerade? Was ist Ihr wichtigstes Projekt?
Als Technologin und Juristin bin ich die Schnittstelle zwischen Technik und Recht – eine Position, die international immer wichtiger wird. Es gilt, rechtliche Errungenschaften vor Zugriffen durch die Technologie zu schützen. Dazu gehören die Grund- und Menschenrechte, die Herrschaft des Rechts über die Technik, Gewaltenteilung und eine freie Presse. Dafür bin ich gerade in ein Team von Technologen aus sechs EU-Staaten eingebettet, die an kognitiven Maschinen für die Luftverteidigung arbeiten. Ist es legal und ethisch vertretbar, wenn die EU KI-basierte Waffen für die Verteidigung in Auftrag gibt? Immerhin rüsten die Länder rund um uns herum mit autonomen Waffen auf. KI-basierte Abschreckung, Eskalation und Friedenswahrung zu beurteilen und einzuordnen, dabei helfe ich gerade mit.

Ist KI ein Fluch oder ein Segen für unsere Gesellschaft?
KI kann einige Dinge neu, anders und manches[1]  auch besser tun als wir Menschen. Deshalb ist KI ein Wirtschaftsfaktor. Wird KI aber so eingesetzt, dass Maschinen die Menschen kontrollieren und nicht umgekehrt oder der Mensch selbst zur ultimativen Maschine erklärt und auch so behandelt wird – und die Gefahr tritt schon zutage –, dann haben wir ein echtes Problem. Dann fällt unser europäisches Menschenbild vom freien, souveränen Menschen, der über sein Leben selbst entscheiden kann. Das würde der Demokratie jegliche Grundlage entziehen.

Wird es den Job, den Sie haben, in 20 Jahren noch geben?
Eine Vorhersage zu treffen, die so weit in die Zukunft reicht, wäre unseriös. Aber ich habe Zweifel. In den letzten 20 Jahren habe ich einige Berufe wegen der Digitalisierung verschwinden sehen. Selbst die Konzeptdenker der Technologie, die erst darüber nachdenken, wofür und wie sie KI sinnvoll einsetzen wollen, sind immer weniger gefragt. Es dominieren Wachstumsversprechen, es winken enorme finanzielle Mittel für die Ausbreitung von KI. Deshalb schreitet der Umbau der Gesellschaft durch die Technik rasend schnell voran. Sicher ist nur eines: Keiner von uns darf sich noch in Sicherheit wiegen.

Was müssen wir jetzt anpacken, damit wir in 30 Jahren glücklich mit KIs zusammenleben können?
Wir müssen unter allen Umständen an unseren fundamentalen europäischen Werten festhalten. Ansonsten könnten wir Menschen in der Zukunft von Sachen beherrscht werden – und von den Despoten und Diktatoren, denen KI so sehr in die Hände spielt und die KI genau für diesen Zweck einsetzen – für die Kontrolle, die Überwachung, die Eindämmung ihrer Völker. Das will wohl keiner von uns erleben.

Das Interview führte Andrea Bittelmeyer.

(Beitragsbild: Originalfoto: Bertelsmann Verlag, modifiziert von Deepart.io im Stile von Édouard Manet)

Cover der KI-Sonderausgabe, Juli 2019

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 [1]Korrekt? Oder „manchmal“?

Clutch-Redaktion