Warum Frauen die Gewinnerinnen der Digitalisierung sind

Andrea Buzzi, Inhaberin und CEO der Agentur Frau Wenk für Clutch Online (Bild: Klaus Knuffmann)

Chance oder Risiko? Viele verunsichert die rasend schnelle digitale Transformation. Verständlich, denn die Wucht der Veränderung reißt auch Sorgen um den Arbeitsplatz und die eigenen Fähigkeiten an die Oberfläche. Dabei können gerade Frauen von der neuen Ära profitieren, wenn sie ihre Stärken erkennen. Ein Plädoyer für mehr Mut und Selbstbewusstsein von Andrea Buzzi, Inhaberin und Geschäftsführerin der PR-Agentur Frau Wenk in Hamburg.

Tschüss Nerds, hallo Kommunikationswunder!

Eigenbrötler, die stundenlang auf Bildschirmen mit kryptischen Formeln starren? Über diesen Punkt ist die Digitalisierung längst hinaus: Heute gilt es, Prozesse zu begleiten und zu implementieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und zwar sowohl als Unternehmen als auch als Mensch. Davon ist Tijen Onaran, Gründerin von Global Digital Women, überzeugt: „Die Digitalisierungskompetenz hat längst nicht mehr nur mit Programmieren und Algorithmen zu tun. Entscheidender ist die Sprache und den Sinn hinter dem System zu verstehen – und kommunikativ umzusetzen.“ Und genau das müsse frühzeitig auch Mädchen in den Schulen vermittelt werden, um ihnen die Angst vor den so genannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zu nehmen. „Hier geht es um einen fundamentalen Kulturwandel, der viel Zeit braucht“, erklärt Onaran. „Natürlich schreien jetzt alle nach digitalem Nachwuchs. Doch woher soll der so plötzlich kommen?“ Deshalb plädiert die Digital-Expertin, auch diejenigen abzuholen, die bereits viele Jahre im Beruf sind. Onaran: „Für Frauen mit Empathie, sowie einem hohen Maß an Sozialkompetenz, kann die Digitalisierung eine Möglichkeit sein, sich beruflich neu zu positionieren.“ Und da ist noch viel Luft nach oben: Denn laut der Arbeitsagentur für Arbeit sind zum Beispiel derzeit nur 21.876 Frauen im Bereich IT-Netzwerktechnik, IT-Koordination und IT-Systemadministration tätig – im Vergleich zu 131.368 männlichen Kollegen. Und auch beim Gründen sind Frauen nach wie vor zurückhaltend: Laut dem aktuellen Startup-Monitor des Bundesverbandes Deutsche Startups werden bisher nur 14,6 Prozent aller Unternehmen von Frauen gegründet. Tendenz sehr, sehr langsam steigend.

Interaktive Dirigentin statt einsamer Cowboy

An der Spitze ist es einsam – das galt jahrzehntelang im oberen Managementbereich. Nur wer irgendwann ganz alleine hoch oben auf dem Berg den Mond anheulte, hatte es (vermeintlich) geschafft. Doch auch hier fordert die Digitalisierung neue Gesetze. „Starre Hierarchien funktionieren auf lange Sicht nicht mehr“, prophezeit Onaran. Fremdelnde Strippenzieher, die sich auf ihre Wissensmacht verlassen, werden scheitern. „Der technische Fortschritt ist so rasant, dass keiner mehr alles überblicken beziehungsweise können kann. Es braucht deshalb neue Führungspersönlichkeiten, die abteilungsübergreifend arbeiten, moderieren, den Wert ihrer Mitarbeiter anerkennen und sie coachen.“ Das Erfolgsgeheimnis wird also eher sein, die kollektive Intelligenz von Gemeinschaften zu nutzen. Auch hier können Frauen mit ihren Kooperations- und Kommunikationsfähigkeiten profitieren. „Ein gutes Netzwerk multipliziert die eigenen Leistungen“, so Onaran. „Entscheidende Wettbewerbsvorteile sind, Wissenstanker um sich zu scharen und auch um Hilfe bitten zu können. Und zwar geschlechtsunabhängig.“

Diversität statt Homogenität

Daran glaubt auch Dr. Vera Demary, Leiterin des Kompetenzfelds Strukturwandel und Wettbewerb vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. „Für Teams gilt: Vielfalt bringt Vielfalt. Und zwar bezogen auf das Alter, das Geschlecht, die Herkunft und die Bildung. Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen verändern die unternehmerische Perspektive. Und das ist eine echte Chance.“ Auch hier bietet die Technologie praktischerweise direkt selbst die Lösung. Denn auch im Bereich Recruiting kommen Big Data und People Analytics immer mehr zum Zug. Bewerbungsmanagement-Systeme treffen heute verstärkt die erste Auswahl und das mit erstaunlich guter Treffsicherheit – und geschlechtsunabhängig! Zumindest wenn die Daten anonymisiert erfasst und ausgewertet werden. Denn auch der optimal geschulte Personaler ist nicht frei von Gender-Vorbehalten und wird in gewissem (und möglicherweise entscheidendem) Maße nach Ähnlichkeiten und Sympathien entscheiden statt nach Fähigkeiten. Zwar wird der Mensch und das persönliche Gespräch nie vollständig bei der Personalgewinnung ersetzt werden, trotzdem können intelligente Auswahlverfahren und Tests dabei unterstützen, dass die richtigen Bewerber eingeladen werden. Auch Onaran sieht dies als Möglichkeit auf eine stereotypenfreie Auswahl: „Ich rate allen Unternehmen, bewusst Organisationsrebellen einzustellen! Sie sind eine unbezahlbare Bereicherung für die Weiterentwicklung.“

Von ausgedienten Lebensläufen und beweglichen Karrieren

Und besagte hochqualifizierte Rebellen gehen häufig nicht immer den schnurgeraden Weg. Viele von ihnen entscheiden sich bewusst für Schleichwege, etwa in Form von Arbeitszeitreduzierung oder Sabbaticals, steigen auf Zeit aus, um eine Familie zu gründen oder sich um Angehörige zu kümmern. Bei ihnen zählt das Bild und nicht der Rahmen, die Resultate und nicht der lückenlose Lebenslauf – und das macht sie für Unternehmen so attraktiv. Die Ganz-oder-gar-nicht-Karriere wird daher für immer mehr digitale Menschen zum Auslaufmodell. Auch Projekt-Karrieren sollten möglich sein, zum Beispiel wenn Kinder noch klein sind oder die Lust auf die Weltreise groß ist. Und die lässt sich auch per Laptop von den Kleinen Antillen aus stillen. „Karriere wird neu definiert. Unter anderem, weil die Digitalisierung Privatleben und Beruf noch stärker verschmelzen wird“, weiß Demary und sieht darin vor allem für Frauen Chance, aber auch Risiko. „Räumliche und zeitliche Arbeitsflexibilität ermöglichen vielen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser organisieren zu können. Denn dank Instant-Messaging-Diensten sind die Entscheidungswege kurz und schnell geworden. Das verlangt aber auch Verantwortlichkeit, sowohl auf Seiten des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers. Genaue Absprachen über Erreichbarkeit und Arbeitszeiten sind dabei Voraussetzung.“

Die neue Währung heißt Offenheit und Sichtbarkeit

Dafür braucht es aber auch Vertrauen in flexible und ortsunabhängige Arbeitsmodelle, die nicht hinter vorgehaltener Hand als Haushaltstag belächelt werden. Auch hier bedarf es eines neuen Selbstbewusstseins – „vor allem seitens der Frauen, die auch mal ertragen müssen, unpopuläre Entscheidungen zu treffen und eventuell nicht gemocht zu werden. Das muss man aushalten können“, findet Onaran. Auch in puncto Sichtbarkeit und Loyalität wünscht sich die Digital-Expertin mehr Mut: „Wenn es um die Selbstvermarktung und das Empowerment untereinander geht, sind uns Frauen aus Ländern wie Amerika, Indien, Estland und Afrika weit voraus. Sie setzen mehr auf Storytelling und Vernetzung. Denn eines ist klar: Zukunft lässt sich nur mit Optimismus gestalten.“

Über die Autorin: 

Andrea Buzzi ist Inhaberin und Geschäftsführerin der PR-Agentur Frau Wenk. Die ehemalige Krankenschwester hat sich in ihrer Karriere immer wieder neu erfunden und selbst nie geschont. 2018 wurde Frau Wenk als erste deutsche PR-Agentur als Women Business Enterprise von der Organisation WEConnect International zertifiziert.

 

(Beitragsbild: Klaus Knuffmann)

Clutch-Redaktion