Der Online-Lebensmittelhandel boomt. Doch welche Services und Produkte wollen die Konsumenten wirklich? Dieser Frage gehen Norbert Hegmann und Thorsten Bausch nach. Sie sind die Gründer von myEnso, einem Online-Marktplatz für Lebensmittel und One-Stop-Shop, der Kunden und Hersteller erstmals direkt zusammenbringt. Im Interview berichten sie, was myEnso ausmacht, warum sie die Kunden am Unternehmen beteiligen und welche Ziele sie verfolgen. Derzeit sucht das Unternehmen 2.000 Pioniere im Testmarkt Bremen, die die Plattform auf Herz und Nieren prüfen.
Was ist der zentrale Unterschied von myEnso zu bisherigen Ansätzen im Online-Lebensmittelhandel?
Hegmann: „Der wichtigste Unterschied ist die Kundenzentrierung in unserem Konzept, die wir mit maximaler Konsequenz auch umsetzen. Bei myEnso entscheidet ausschließlich der Kunde über Innovationen, Produktlistungen oder Serviceangebote. Nichts geht ohne einen Test und die Befragung von Kunden live. Wir bringen Kunde und Hersteller also erstmals direkt zusammen und sind die handelsneutrale Plattform, die die Bedürfnisse und Erwartungen beider Seiten managt.“
Sie wollen ein handelsneutraler Marktplatz sein. Was bedeutet das?
Bausch: „Die Einkaufskonditionen des Handels bestimmen heute überwiegend, was wir konsumieren. Wir wollen, dass der Konsument wieder bestimmt, was es zu kaufen gibt. Das ist auch im Interesse der Hersteller. Wir bieten diesen an, unter Aufhebung der bisherigen Prinzipien des Lebensmitteleinzelhandels gemeinsam mit den Kunden durch permanentes Test & Learn den Supermarkt der Zukunft zu schaffen. Das wird auch auf Seiten der Hersteller sehr positiv bemerkt, wir stecken da derzeit in vielen und tiefen Gesprächen. Bis Ende 2017 werden wir bereits zehn Hersteller in unser Category-Partner-Programm integriert haben. Hier hat der Markt offensichtlich auf ein Emanzipationsangebot gewartet.“
Können Sie mit diesem Ansatz mehr Deutsche für den Online-Lebensmittelkauf begeistern als bisher?
Hegmann: „Davon sind wir überzeugt, weil wir uns die Zeit genommen haben, die Menschen zu fragen, was sie sich von einem Online-Shop für Supermarktprodukte wünschen. Und mit dem von uns im Konsumententest überprüften myEnso-Geschäftsmodell sprechen wir unter anderem ganz neue Zielgruppen an. Die Erkenntnisse aus der Marktforschung mit unserem Partner Kantar TNS waren extrem lehrreich. Es gibt derzeit offenbar viele Punkte und Dimensionen, mit denen die Menschen unzufrieden sind. Zuallererst lässt sich feststellen, dass der Online-Einkauf von Lebensmitteln heute das eindeutig schlechtere Angebot im Vergleich zum stationären Einkauf darstellt. Zum Beispiel mangelt es vielen online an einer anlassbezogenen, intuitiven Einkaufsnavigation, wie wir sie aus dem stationären Handel kennen. Es gibt also viele Verbesserungsmöglichkeiten für den Online-Lebensmittelhandel. Man muss nur zuhören.“
Sie wollen Ihre Kunden auch an myEnso beteiligen. Warum?
Bausch: „Jeder Kunde kann Pionier bei myEnso werden. Für seine Mitgestaltung bekommt er Einkaufsgutscheine und wird je nach Engagement an myEnso beteiligt. Aber jeder Mensch kann auch direkt Teilhaber an myEnso werden, ohne Pionier zu sein. Dazu wird ein Teil von myEnso genossenschaftlich organisiert. Wir wollen die Stimme des Kunden quasi im Haus haben. Im Herbst 2017 starten wir mit 2.000 Pionieren im Testmarkt Bremen. Unser langfristiges Ziel ist es, dass myEnso irgendwann nahezu vollständig Deutschland gehört.“
Sind die Menschen denn gewillt, sich an Unternehmen zu beteiligen und diese aktiv mitzugestalten?
Bausch: „Das können wir definitiv bestätigen. Die vielfältigen Beispiele von Crowd-Finanzierungen zeigen eindeutig, dass Menschen in überzeugende Konzepte investieren. Es geht um Kleinbeträge und um mehr geht es bei uns ja auch nicht. Jeder kann, wenn er will, für einmalig 100 Euro einen Anteil an myEnso erwerben und kommt sofort in den Genuss eines sehr attraktiven Vorteilsprogramms. Auch das Thema Mitgestaltung findet eine überdurchschnittliche Zustimmung in der Gesellschaft.“
Mit welchen Verbesserungen gehen Sie konkret an den Markt?
Hegmann: „Wir wollen einen Online-Supermarkt gemeinsam mit den Kunden und den Herstellern erschaffen, der nicht nur besser ist als die anderen Online-Supermärkte, sondern einen der besser ist als der kundenorientierteste stationäre Supermarkt. Dazu stellen wir eine neue Nähe zwischen Kunde und Hersteller her und ermächtigen die Kunden, myEnso permanent mit- und weiterzuentwickeln, um ihre Erwartungen an das individuelle Einkaufen zu bedienen. Daher werden wir jeden Monat gemeinsam mit den Herstellern und Kunden Ideen testen und bei Bestätigung durch die Kunden diese dann auch ausrollen. Eine der schönsten derzeitigen Ideen ist der Kiosk-Wagen für die Pflegeheime. Hier sind wir plötzlich ein neuer Treffpunkt und Ort des Austauschs, hier kommen wir wahrhaftig mit den Menschen ins Gespräch. Die größte und gleichzeitig simpelste Innovation ist der Wünsch-Dir-Was-Button, mit dem die Kunden jederzeit ihre Wünsche an Sortiment, Lieferant und Service äußern und veröffentlichen können. Bei 1.000 Likes werden wir versuchen, die Wünsche der Kunden auch umzusetzen. Es gibt sehr viele Innovationen, die teilweise beschämend naheliegen. Wie etwa ein Nachweis direkt am Produkt, mit dem der Kunde erkennen kann, das die Kühlkette bis zu seiner Tür nicht unterbrochen wurde. Wir haben in Marktforschungsprojekten über 350 Ideen zur Verbesserung von Produktsortiment, Einkaufsorganisation, Einkaufserlebnis und weiteren Dienstleistungen gesammelt, die derzeit im Konsumententest sind und dann unsere Innovationspipeline ergeben werden.“
Erste Tests in Bremen laufen seit Herbst 2017. Wie sind die Ergebnisse?
Bausch: „Alle bisherigen Ergebnisse übertreffen unsere Erwartungen und jede Woche steigen unsere Kundenzahlen. Einer der wichtigsten Schlüssel ist, dass wir nicht als E-Commerce-Unternehmen wahrgenommen werden. Man sieht uns als ein neues Serviceunternehmen mit einem völlig neuen Konzept und frischem und sympathischem Gesicht. Es ist wirklich erstaunlich, wie viel Potenzial dort draußen im Markt ist und plötzlich sichtbar wird, wenn man nur eine andere Perspektive einnimmt. Und das tun wir, rund um die Uhr und jeden Tag. Denn unser Ziel ist unter anderem die permanente Wissensführerschaft.“
(Beitragsbild: privat)