In der Adtech-Branche findet ein Umdenken statt

Clutch-Redakteurin Cara Hönkhaus im Gespräch mit Christopher Lien von Marin Software

clutch-logo-grün-freigestellt-klein-taglineDas Vertrauen in die Adtech-Branche ist erschüttert, der Ruf hat gelitten. Zu intransparent, zu viel Betrug und zu wenig Qualität, so lautet 2017 das Fazit der Kritiker. Christopher Lien, Founder & CEO Marin Software, sprach mit Clutch darüber, wie Adtech-Anbieter das Vertrauen der Werbetreibenden zurückgewinnen können.

Hier in Deutschland wird viel über Viewability, Brand Safety und Transparenz im digitalen Marketing diskutiert. Hat die Adtech-Branche ein Vertrauensproblem?

Lien: Die Adtech-Industrie hat im Hinblick auf ihre Geschäftspraktiken nicht immer einen guten Job gemacht, was in der Tat zu einem Vertrauensproblem geführt hat. Auch die Tendenz, der Technologie blind zu vertrauen, kann Schwierigkeiten mit sich bringen. So kommt es beispielsweise vor, dass Anzeigen in Umfeldern ausgeliefert werden, die nicht markenkonform sind. Ich denke, dass die offene deutliche Kritik, die verschiedene Werbetreibende geübt haben, aber auch einige gravierende Fehler, die in den letzten Monaten auf Seiten der Technologieanbieter bekannt geworden sind, dazu geführt haben, dass ein Umdenken in der Branche stattfindet. Viele in der Branche nehmen den Ruf nach mehr Transparenz inzwischen sehr ernst, aber es gibt genauso viele die weiter mit aggressiven Geschäftspraktiken agieren, um den eigenen Profit zu maximieren. Darüber muss man sich einfach klar sein.

In der Psychologie werden Offenheit, Zuverlässigkeit und Integrität als vertrauensbildende Faktoren gewertet. Wie schneidet die Adtech-Branche hier ab?

Lien: Ohne der Adtech-Branche Unrecht zu tun: Es gibt viele Werbetreibende, die einfach ein Budget bereitstellen, sich aber nicht die Zeit nehmen wollen, um zu verstehen, was sie eigentlich von ihrem Anbieter kaufen. Undurchsichtige Managed Services nutzen das dann oft aus, wenn niemand Transparenz oder Rechenschaft über die Detailergebnisse einfordert. Auch wenn Werbetreibende die Tools eines Publishers nutzen, bei dem sie gleichzeitig auch Medialeistung einkaufen, stellt sich die Frage, ob es da nicht einen Interessenkonflikt gibt.

Was muss passieren, damit die Adtech-Anbieter das Vertrauen der Werbetreibenden zurückgewinnen?

Lien: Ich glaube nicht, dass alles Vertrauen in Adtech-Anbieter, Publisher und Werbetreibenden komplett verloren gegangen ist. Ich sehe eher eine Situation, in der wir mehr darüber sprechen, wie die Branche Vertrauen aufbauen oder zurückgewinnen kann auf der Basis von Transparenz und Leistung. Werbetreibende müssen hier mehr von ihren Publishern und Dienstleistern einfordern. Und Publisher, wie auch Technologieanbieter und Dienstleister müssen mehr tun, um auch tatsächlich im Interesse der Werbekunden zu handeln. Ich glaube daran, dass es richtig und gut ist, schwarze Schafe beim Namen zu nennen und die Fälle öffentlich zu machen, in denen Werbetreibende von Anbietern, die schlechte Qualität liefern, ausgenutzt wurden.

Spielt es beim Thema Vertrauen eine Rolle, woher das Unternehmen kommt?

Lien: Das glaube ich nicht, solange das Unternehmen für hohe Qualität steht, Ergebnisse liefert und im besten Interesse seiner Kunden, also der Werbetreibenden handelt. Ich glaube schon, dass es verständlicherweise in Deutschland eine Tendenz gibt, mit anderen deutschen Anbietern zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig ist die deutsche Adtech-Branche aber wesentlich kleiner als das Angebot weltweit. Deshalb ist es vorteilhaft für deutsche Werbetreibende, mit den „Best-in-class“-Anbietern zusammenzuarbeiten, auch wenn diese häufig nicht aus dem eigenen Land kommen. Natürlich müssen diese Unternehmen den lokalen Gesetzen und Richtlinien entsprechen.

Digital Advertising 2020 – Was erwartet uns?

Lien: Wir leben in einer Zeit in der mehr und mehr Konsumenten ihre Zeit online verbringen. Deshalb werden auch weiterhin die Werbegelder in Online-Kanäle fließen, vor allem in Search und Social. Der Zugang zum Internet über die verschiedensten Endgeräte, vor allem über Mobile, wird selbstverständlich. Werbetreibende versuchen, ihre Daten zu nutzen, um personalisierte Werbung für jeden auszuliefern. Sie setzen dafür Technologienplattformen ein, um die richtige Botschaft, im richtigen Moment auf dem richtigen Endgerät auszuliefern. Die größte Veränderung, die wir bis 2020 erleben werden, sind immer schnelleres Internet, insbesondere 5G. Damit wird es wesentlich einfacher und angenehmer, Video und Rich Media zu konsumieren. Große Videodateien können in Echtzeit gestreamt werden, was unmittelbarere, immersivere und anpassbare Werbeerlebnisse ermöglicht. Ich glaube auch, dass wir bis zum Jahr 2020 die Einführung von Augmented Reality und Virtual Reality für digitale Werbemöglichkeiten sehen werden. Außerdem sehen wir jetzt die frühen Phasen von sprachaktivierten und Chatbot-getriebenen Nutzererfahrungen. Beides wird bis 2020 für digitale Werbekunden sehr Mainstream werden. Ich erwarte also viele aufregende Fortschritte, die dazu beitragen werden, ansprechende digitale Werbeerlebnisse für die Verbraucher zu schaffen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Lien.

Das Interview führte Cara Hönkhaus.

(Beitragsbild: Thorsten Harms Fotografie)

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Clutch-Redaktion