Der Journalismus steht vor der nächsten Revolution. Algorithmen, Vorhersage-Tools und maschinelles Lernen krempeln die Medien, die Kommunikationsbranche und den Inhalte-Konsum um – so zumindest die Vision der KI-Evangelisten. Wir haben den Medienwissenschaftler Prof. Dr. Stephan Weichert von der Hamburg Media School mit sieben Thesen zu diesem Themenkomplex konfrontiert.
Alexander Becker im Gespräch mit Stephan Weichert
These: Mit dem richtigen Einsatz von KI im Redaktionsalltag ließe sich aus großen Daten-Stories wie den Panama-Papers noch weit mehr herausholen.
Algorithmen eröffnen neue Potenziale, um Daten schneller auszulesen und zu systematisieren. Aber eine KI wird niemals den menschlichen und im Besonderen den journalistischen Sachverstand ersetzen. Dafür sind auch zukünftig immer menschliche Datenjournalisten nötig – und keine Roboter, die uns die Arbeit abnehmen. Vor allem nicht in der Bewertung und Interpretation.
These: Mit der richtigen KI-Unterstützung in der Qualitätssicherung und Dokumentation hätte es einen „Fall Relotius“ nie gegeben.
Wir reden von Fact-Checking und Verification. Tatsächlich halte ich in solchen Fällen eine KI-Unterstützung für nicht so sinnvoll, weil das ein Mensch mithilfe bestimmter Tools und Techniken in der Regel besser machen kann. Die Dokumentation im Journalismus, die beim Spiegel etwa eine eigene Abteilung bildet, lässt sich niemals durch Maschinen ersetzen.
These: Künftig sollen Algorithmen in der Lage sein, Kommunikationskrisen bereits in einem frühen Entstehungsstadium zu erkennen.
Bei der Analyse von Kommunikationsdynamiken könnten Algorithmen sehr hilfreich sein – vor allem, wenn es um Vorhersagen geht, etwa bei Twitter- oder Facebook-Diskursen. Es wird dann richtig interessant, wenn Politiker wie US-Präsident Donald Trump bereits vor jedem Tweet abschätzen können, welche Reaktionen diese auslösen. Das passiert bislang eher nach dem Bauchgefühl.
These: Bald gibt es ein Tool, das Blattmachern schon heute die relevanten Themen von morgen voraussagt.
Eine Nachrichtenlage kann niemand vorhersehen. Was mit Unterstützung einer KI vorausgesagt werden kann, sind Bedürfnisse und Interessen von Zielgruppen, die sich anhand von Nutzungsgewohnheiten auslesen lassen. Also, welche Medien welche Menschen zu welcher Tageszeit am liebsten nutzen. Aber das ist ja heute schon möglich. Die Frage ist eher, ob sich daraus individualisierte Profile erstellen lassen und entsprechend speziell zugeschnittene Programmvorschläge gemacht werden können. Das halte ich für wahrscheinlich. Dass aber konkrete Themen vorhergesagt werden, glaube ich nicht. Eher lassen sich Themenkonjunkturen bestimmen und auch in ihren Dynamiken prophezeien.
Das komplette Gespräch mit Stephan Weichert finden Sie in der aktuellen Ausgabe des Clutch-Magazins oder bei Lead Digital.