Es liest sich wie die Storyline eines Science-Fiction-Romans. Ein Mensch lässt sich Technik implantieren, um die Fähigkeiten seines Körpers zu steigern. Der Cyborg, wie man diesen Menschen allgemein hin nennt, ist aber alles andere als eine absonderliche Romanfigur. Immer mehr gesunde Menschen entscheiden sich für Eingriffe, um ihre menschlichen Möglichkeiten zu erweitern. Der wohl bekannteste und für viele gleichzeitig erschreckendste Eingriff ist das Implantieren von Chips. Ein Großteil der bisher entwickelten Chips ist nichts anderes als ein drahtloses Sender-Empfänger-System, wie es auch beim Bargeldlosbezahlen mit dem Smartphone verwendet wird. Technologische Entwicklungen die Smartphone oder Laptop betreffen, finden nur die wenigsten gruselig. Unheimlich wird es erst, wenn der menschliche Körper involviert wird. Dabei ist das Einsetzten eines Chips nicht sehr viel spektakulärer als das Einsetzen eines Herzschrittmachers. Technologie, die das Leben des Menschen vereinfacht oder verlängert, wird in der Medizin schließlich tagtäglich angewandt. Der Unterschied ist lediglich, dass die Technologien denen wir im Krankenhaus begegnen, bereits ihr experimentelles Sein abgelegt haben. Dass aber auch sie jenes Entwicklungsstadium durchlaufen haben, in dem vermeintlich abstruse Wissenschaftler den ersten Prototypen kreierten, vergessen wir gern. Ein Start-up für Biotechnologie aus den USA, erforscht und entwickelt Chips, zur Steigerung menschlicher Leistungsfähigkeit. Was genau diese bereits können und welche Ziele sich das Start-up gesetzt hat, fragte Clutch in einem Interview mit Ryan O’Shea, Sprecher von Grindhouse Wetware, nach.
Clutch: Ryan O’Shea, wieso möchten Sie dem Menschen Chips implantieren?
O’Shea: Wir bei Grindhouse sind sehr daran interessiert, die Potenziale der Biotechnologie auch für den Menschen nutzbar zu machen. Unser Ziel ist es, jegliche biologische Grenzen zu überschreiten und die Menschen länger, gesünder und glücklicher leben lassen. Wir sind Biohacker, was nichts anderes bedeutet, als dass wir die Funktionsweisen lebender Organismen erforschen und mit Hilfe der Biotechnologie diese Organismen verbessern. Manche Biohacker nutzen Noontropika, eine Art Gehirn-Dopingmittel, um das Erinnerungsvermögen eines Menschen zu steigern. Grindhouse hackt den menschlichen Körper mit Chips. Übrigens, nichts anderes machen Sie, wenn Sie Kaffee oder Energy Drinks trinken. Sie wollen einen stimulierenden Effekt erzielen. Sie sind also auch ein Biohacker. Auch die Medizin basiert auf dem Biohacking. Sie studiert Mechanismen, in diesem Fall den menschlichen Körper, und optimiert ihn fortwährend. Auch unser Team möchte den menschlichen Körper verbessern, aber eben nicht reparieren oder einzelne Bestandteile ersetzen. Wir wollen alle biologischen Bestandteile des menschlichen Körpers irgendwann durch technologische ersetzen.
Clutch: Erklären Sie doch bitte, was das für Chips sind, was die können und warum ich mir einen einsetzen lassen sollte?
O’Shea: Wir arbeiten an verschiedenen Typen von Chips. Der bisher bekannteste ist der „Northstar Version One“. Dies war unser erster Chip, bestehend aus LED-Leuchtioden, die die Biolumineszenz imitieren. Zurzeit arbeiten wir am „Northstar Version Two“. Dieser Chip imitiert ebenfalls die Biolumineszenz, wird darüber hinaus aber auch über eine Gestik-Erkennung verfügen. Das hat den einfachen Nutzen, Türen zu öffnen oder zu verschließen, Lichter ein- und auszuschalten oder mit der entsprechenden Adaption, einen Taxifahrer nur anhand eines Winkens herbeizurufen.
Ein weiteres Feature ist das „Bottlenose Device“, ein Gerät, das Informationen an einen implantierten oder externen Magneten sendet. Bottlenose sendet Morse-Codes oder jede andere gewünschte Information durch das menschliche Nervensystem. Versehen mit einem entsprechenden Befehl, vibriert er. An diesem System arbeiten wir intensiv, da es in der Zukunft unangenehme Untersuchungsmethoden wie beispielsweise Magen-Spiegelungen in der Medizin ersetzen könnte.
Nebenbei arbeiten wir stetig am Tracking physiologischer Daten wie Herzrate, Blutdruck und Körpertemperatur. 2013 haben wir einen Prototyp namens Circadia dem Grindhouse-Mitbegründer Tim Cannon in den Arm implantiert. Das Gerät misst die Körpertemperatur und sendet die Ergebnisse an ein Smartphone. Unser Ziel ist es, dass es eines Tages als eine Art dauerhaft implantiertes Thermostat dienen soll und seinen Träger alarmieren kann, sobald er krank wird, oder einen Notruf absetzt, wenn die Temperatur einen medizinischen Notfall ankündigt.
Clutch: Warum sollte ich mir solch ein Implantat einsetzen lassen? Was hätte ich momentan davon?
O’Shea: Im Kern zielen alle Biohacks, die mit Chips arbeiten, auf die Verbesserung der Sinnenempfindungen ab. Wir sind derzeit aber noch nicht so weit, dass leisten zu können. Der Northstar Version Two hat als einer der ersten Chips bereits einen Nutzen. Er erhöht die Sichtbarkeit seines Trägers, dient als Lichtquelle und hat einen ästhetischen Mehrwert. Der Bottlenose Device fungiert als Informationstransmitter und kann beispielweise vibrieren, wenn der Träger eine SMS erhält.
Clutch: Tragen Sie bereits ein Implantat?
O’Shea: Die Chips die aktuell einsetzbereit sind, können noch nicht das leisten, was ich mir als Träger wünsche. Sobald wir aber das Gehirn anbinden, um physiologische Daten zu erhalten, würde ich mir auch einen Chip implantieren lassen.
Clutch: Der RFID-Chip ist hierzulande der berühmteste Chip. Worin unterscheidet sich dieser Chip-Typ von Ihren?
O’Shea: Die RFID-Chips sind die bekanntesten Vertreter der Chips. Sie werden von einigen Firmen bereits als Ersatz für Zugangskarten für Büros oder Schloss-Öffner angeboten, da beide Chip-Typen ein drahtloses Sender-Empfänger-System enthalten. Die wesentlichen Unterschiede zu unseren Chips liegen in der Funktionsweise. Aber auch die Optik und die Tatsache, dass unsere Chips im Inneren angetrieben werden und kein externes Gerät brauchen, um zu agieren.
Clutch: Was würde mich ein Chip und dessen Implantierung kosten?
O’Shea: Die Kosten variieren, je nach Chip-Typ. RFID-Chips bekommt man oft schon für 80 Euro. Größere Implantate wie den Northstar Version One kann man noch nicht kaufen. Wir arbeiten aber daran, unsere Chips für jeden erschwinglich zu halten. Schließlich sollte die Verbesserung des menschlichen Körpers für jeden zugänglich sein.
Das ist der Status Quo. Die Chips, die bis dato Einzug in unser Leben halten könnten, sind alles andere als futuristische Fantasien eines Schriftstellers. Es gibt sie, ja, sie können auch etwas, aber eben nicht viel. Eines steht jedoch fest: den Tag an dem ein Chip das Leben eines Menschen retten kann, sollten wir herbeisehnen. Angst hat hier keinen Platz. Ob man jedoch das Streben nach dem ewigen Leben teilt, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Diesen Artikel schrieb Svenja Tasch.
Zur Person:
Ryan O’Shea ist Berater und Wortführer des Start-ups Grindhouse Wetware in Pittsburgh, Pennsylvania. O’Shea agiert als weltweit anerkannter Speaker der Biotechnologie und produziert und moderiert Wissenschafts- und Technologien-Themen im Future Grind Podcast. Außerdem ist er „Botschafter der Sonnenenergie“ der NASA. 2017 war er Mitbegründer des Start-ups Behaivior, das Wearable erfindet, die das menschliche Verhalten vorhersagen und intervenieren. Das Start-up wurde kürzlich unter die Top 10 Teilnehmer des IBM Watson AI XPRIZE (auf 5 Millionen US-Dollar dotiert) gewählt.
In Clutch #2 berichteten wir bereits über Cyborgs. Hierzu hatte sich unser Redaktionskollege Kai Hirdt, Autor von Science-Fiction-Romanen, einen Chip implantieren lassen und seine Erfahrungen mit den Lesern geteilt. Den Chip trägt er noch heute.
(Alle Bilder: Ryan O-Shea, Grindhouse Wetware)