Kaum eine Werbegattung wird derzeit so gehypt wie Retail Media – also, der Kauf von Werbeslots auf Online-Marktplätzen statt bei Suchmaschinen oder in Social Media. Das hat auch seinen Grund, denn laut einer Studie vom WARC (World Advertising Research Center) haben sich die Werbeausgaben für Retail Media im Zeitraum 2019 bis 2022 mehr als verdoppelt und überholen damit die Bereiche Audio, OOH und Kino, Publishing und OTT/Streaming. Wenn die Retail-Media-Branche ihren derzeitigen Kurs fortsetze, so die WARC-Prognose, werde sie bis 2025 für Werbetreibende wertvoller sein als das lineare Fernsehen. Auch nach Einschätzung des Fachkreises Online-Mediaagenturen (FOMA) im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. werden die Investitionen in Retail Media in diesem Jahr noch mal kräftig zulegen. Laut FOMA-Trendmonitor werden hier die Netto-Spendings im Jahr 2023 um 27 Prozent steigen, so viel wie in keinem anderen Bereich.
BVDW legt Definition von Retail Media vor
Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, hat der BVDW im September 2022 die Initiative Retail Media gegründet. Der daraus entstandene Retail Media Circle (RMC) hat nun Anfang Juni eine erste umfassende Definition der aufstrebenden Mediengattung veröffentlicht:
„Retail Media ist die einzigartige Möglichkeit, Marken und Produkte dort zu präsentieren, wo ihre Relevanz, Wahrnehmbarkeit und Akzeptanz hoch, ihr Weg zum Kunden sehr kurz und ihr Kontext am natürlichsten sind. Als Mediengattung ermöglicht Retail Media auf Basis einer datengetriebenen Historie eine Funnel-übergreifende Messbarkeit der Werbewirkung, und dies direkt im digitalen und physischen Ökosystem des Retailers – On- und Offsite.“
360° Retail Media Portfolio folgt
Dies sei ein wichtiger Meilenstein, der Retail Media als feste Größe im Mediaportfolio weiter etabliert und dem Markt Sicherheit und Orientierung biete. Der RMC habe damit die Basis geschaffen, um das umfassende Ökosystem zu strukturieren und zu harmonisieren, so Corinna Hohenleitner, BVDW-Vizepräsidentin und Director CEU, Activation beim Retail-Media-Dienstleister Criteo. Zeitgleich hat der RMC ebenfalls eine Definition eines 360° Retail Media Portfolios veröffentlicht, das die Komplexität des Ökosystems verdeutlicht. Diese wurde kurze Zeit später von einer ersten umfassenden Übersicht für das komplette Werbeportfolio der Retailer ergänzt.
Das 360° Retail Media Portfolio umfasst vier Business-Bereiche: Das Segment Advertising bildet den Kern für das Mediageschäft. „Insights“ liefert Werbungtreibenden Einblicke in die Customer Journey, die Beziehung zu Kund:innen deckt der Bereich „Partner Programs“ ab und das Geschäftsfeld „Content“ steht für Inhalte, die Interaktionen fördern. Darunter beschreiben sogenannte Verticals die jeweiligen Produkte. Zum Kernbereich „Advertising“ gehören neun solche Angebots-Verticals wie etwa die Onsite-Werbung in Apps oder in Shops sowie Kanäle wie Social, Product-Search und Instore-Media-Angebote, die somit auch Werbung im stationären Handel abbildet. Genannt werden auch erste exemplarische KPIs, die in den nächsten Schritten vom RMC konkretisiert und ergänzt werden sollen.
Retail-Media-Umsätze bis 2026 bei 25 Milliarden Euro
Dieser Hype um die neue Mediagattung ist international. So geht das Interactive Advertising Bureau (IAB) davon aus, dass die europäischen Retail-Media-Umsätze bis 2026 bei 25 Milliarden Euro liegen werden. Dabei sind es bei weitem nicht mehr nur Dickschiffe wie About You, eBay, Douglas, Google, Intersport, MediaMarktSaturn, Obi, Otto, Rewe, Zalando, die Schwarz Gruppe (Kaufland und Lidl) und natürlich Vorreiter Amazon, die das Thema Retail Media forcieren und eigene große Retail-Media-Abteilungen aufgebaut haben. Auch kleinere Händler steigen auf den Zug auf. Denn: Retail Media hat deutlich höhere Margen als das eigentliche Handelsgeschäft. Und die Anwendungsfälle gehen längst über einfaches Shopper-Marketing hinaus, hin zu komplexeren Off-Site-Aktivierungen, die auf First- und Second-Party-Daten basieren.
Agenturen sehen Wachstum und Potenzial
Auch immer mehr Agenturen und andere Dienstleister entdecken die Disziplin für sich. In einer von der DMEXCO durchgeführten Umfrage (April-Mai 2023) bescheinigen die befragten Mediaagenturen der Gattung Retail Media Wachstum und großes Potenzial – trotz der angespannten Wirtschaftslage. Aber sie kritisieren auch fehlende Standards und KPIs, die zu großem Aufwand im Handling führen. Doch wie bereits erwähnt, arbeitet der RMC daran.
Ein beachtlicher Retail Media Player ist erst jüngst gestartet: Das Agenturnetzwerk Publicis Groupe hat Mitte Juni gemeinsam mit der Carrefour Group das Retail Media Joint Venture Unlimitail gelauncht, das die gesamte Wertschöpfungskette im neuen aufstrebenden Kanal abdecken soll. Das Unternehmen wird in Zentraleuropa, Argentinien und Brasilien aktiv sein und Händler bei der Retail-Media-Vermarktung unterstützen. Bereits 2022 haben MediaMarktSaturn und Criteo sowie GroupM und Schwarz Media, die Retail-Media-Unit der Schwarz Gruppe, eine strategische Partnerschaft geschlossen, um das Retail-Media-Geschäft voranzutreiben.
Lokale Dienstleister
In Deutschland gibt es lokale Retail-Media-Dienstleister wie Kairion, Frankfurt am Main, und Unea, Berlin. Das 2012 gestartete Unternehmen Kairion bietet Retail-Media-Lösungen für Online-Shops und Unternehmen. Die ProSiebenSat.1-Tochter verfügt über ein eigenes Händlernetzwerk mit mehr als 40 Onlineshops. Zudem hat Kairion mit amz Healthcare Solutions eine ganzheitliche Lösung für Healthcare Marken auf Amazon im Portfolio. Das 2021 gegründete Start-up Unea, an dem die OMR beteiligt ist, bietet eine Software-Lösung zur Digitalisierung der Werbeflächenvermarktung im stationären Einzelhandel und im E-Commerce, aber auch für Sportstudios oder die Gastronomie. Unternehmen können via Unea ihre Werbeflächen online und offline selbst verwalten und anschließend an Werbekunden verkaufen. Mitgründer und CEO von Unea ist Richy Ugwu, der bereits für Metro und Intersport in Sachen Retail Media tätig war. Ebenfalls in Deutschland ansässig ist die Laya Group. Das Münchner Unternehmen agiert seit 2020 am Markt und ermöglicht Werbetreibenden mittels Retail-Media-Werbeformaten ihre Zielgruppen zu erreichen – über eine Gruppe Einzelhändler wie Galeria, The Kadewe Group und Sportscheck, in einem einkaufsaffinen Umfeld.
Neben dem französischen Unternehmen Criteo streben auch andere internationale Retail-Media-Dienstleister auf den deutschen Markt, wie zum Beispiel dunnhumby. 2022 präsentierte der britische Anbieter für Customer Data Science seine Retail-Media-Lösung und launchte unter dem Namen dunnhumby Sphere eine weltweite Customer-First-Plattform für Retail Media. Darüber hinaus gibt es zahlreiche andere Tech-Anbieter oder Marketing-Agenturen, die im Umfeld von Retail Media ihre Dienstleistungen anbieten, wie beispielsweise das britische Unternehmen Infosum, das seinen Kunden einen dezentralen Ansatz für Daten-Kooperationen zu Werbezwecken bietet − ohne personalisierte User-Daten tatsächlich miteinander zu teilen.
Wir sind gespannt, wie sich der Markt in diesem Jahr entwickelt und welche neuen Player ein Stück vom vielversprechenden Retail-Media-Kuchen hierzulande ergattern möchten.