Problemgesetz NetzDG: Wie ein Gesetz gegen Hass auch Kunst und Satire verschlingt

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Erst seit einem Monat ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft und schon sorgt es für Aufregung. Es geht um fälschlich gesperrte Inhalte, die Meinungsfreiheit, die Pflichten der sozialen Netzwerke und die Künstlerin Barbara. Doch was ist passiert?

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, ist am 1. Januar 2018 in Kraft getreten. Die sozialen Netzwerke, darunter Twitter und Facebook, sind seitdem verpflichtet, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde zu entfernen oder zu sperren. Für nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte haben sie sieben Tage Zeit. Kommen die Netzwerke ihren Pflichten nicht nach, drohen Bußgelder in Millionenhöhe. Das Gesetz soll die Rechtsdurchsetzung gegen Hetze und Fake News in den sozialen Netzwerken verbessern. Diese reagierten in der Vergangenheit nämlich leider nicht allzu oft auf Löschanträge fragwürdiger Inhalte. Nun scheinen Facebook und andere allerdings willkürlich zu löschen. Überprüft werden die Inhalte von entsprechenden Löschzentren. In Deutschland gibt es aktuell zwei, beide agieren im Auftrag von Facebook. Eines wird vom Dienstleister Arvato in Berlin betrieben, ein zweites von der Firma Competence Call Center in Essen. Bei den Mitarbeitern handelt es sich um geschultes Personal, in der Regel aber nicht um Juristen, die darüber hinaus auch noch schlecht bezahlt werden und psychisch anstrengende Arbeit leisten müssen, wie die Süddeutsche einst berichtete. Oft haben die verantwortlichen Mitarbeiter nur einige Sekunden um über den zu löschenden Inhalt zu entschieden. Keine gute Voraussetzung.

Viel hilft viel – oder doch nicht?

Beispiel-Foto: Kaktus-Kunst von Barbara
Eines der Fotos, das Facebook von Barbaras Fan-Page löschte. (Foto: Barbara)

Bereits in den ersten Tagen nach Inkrafttreten des NetzDG kam es zu einer Vielzahl fälschlicherweise gelöschter Inhalte. Ein Tweet der Journalistin Sophie Passmann wurde gelöscht, ebenso wie ein Tweet des Satiremagazins Titanic. In beiden Fällen handelte es sich um Satire, dessen Kontext vom jeweiligen „Löscher“ offenkundig nicht als solche erkannt wurde. So erging es auch Beiträgen der Streetart-Künstlerin Barbara Anfang diesen Jahres. Die Künstlerin, die für ihre lustigen Schilder an öffentlichen Plätzen bekannt ist und dafür sogar den Grimme-Online-Award gewann, hatte ebenfalls Ärger mit Facebook und dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Sie schrieb auf Facebook: „In den letzten Wochen haben Facebook und Instagram zahlreiche Beiträge von mir gelöscht, weil sie angeblich gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen. Dabei wurde mir gedroht, dass mein Account gelöscht wird, wenn das nochmal passiert. Es waren (aus meiner Sicht) völlig harmlose Beiträge, die sich gegen rechtsradikale Schmierereien und diskriminierende Schilderbotschaften gerichtet haben, ihr kennt meine Arbeit.“ Gelöscht wurde zum Beispiel ein Foto, auf dem sie einen Kaktus unter eine „Heil Hitler“-Schmiererei auf einer Hauswand gesprayt hatte (siehe Foto links). Auf dem Topf steht: „Und wenn ein blöder Wicht was Superdoofes spricht, dann kleb ich einen Kaktus, und der sticht, sticht, sticht.“ Satire als Casus knacksus der Debatte rund um das NetzDG? Doch wie sieht eine Lösung aus?

Ein Interview mit der Streetart-Künstlerin Barbara

Clutch hat die Künstlerin zum Interview gebeten. Wer könnte besser über die Folgen von Satire berichten, als eine Künstlerin, die Satire lebt und von einem Gesetz bestraft wird, das zum Ziel hat, was ihre Kunst ausmacht: Altruismus. Eine Geschichte über Satire in Reinform.

Clutch: Barbara, im Zuge des neuen NetzDG löschte Facebook Inhalte von dir. Um welche Inhalte handelte es sich und was war deiner Meinung nach der Grund für die Löschung?

Barbara: Darüber kann ich nur spekulieren. Die meisten meiner Bilder, die gelöscht wurden, setzen ein Zeichen gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit. Gerade die Anhänger der Neuen Rechten schließen sie sich aber zu „Meldetrupps“ zusammen, die sich auf bestimmte Beiträge einigen und diese dann massenhaft als verbotene Hassrede melden. Wenn ein Beitrag von dutzenden Leuten gemeldet wurde und in den Löschzentren landet, kommen die Call-Center-Mitarbeiter ins Spiel. Von denen hängt dann ab, ob der Beitrag online bleibt oder nicht. Auf dem Foto mit dem kleinen, grünen Kaktus ist „Heil Hitler“ zu lesen. Ein überforderter Mitarbeiter, der sich nur wenige Sekunden Zeit nehmen kann, löscht dann eben diesen Beitrag ohne zu erkennen, dass sich meine Intervention genau gegen dieses ekelhafte „Heil Hitler“ richtet. Ich möchte aber dazu sagen, dass es Löschungen dieser Art auch schon vor dem Inkrafttreten des NetzDG gab. Seither hat es sich allerdings deutlich verschärft.
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Clutch: Tatsächlich? Unterscheiden sich denn die gelöschten Inhalte vor und nach dem Inkrafttreten des NetzDG voneinander?

Barbara: Aus meiner Sicht wurde vor dem NetzDG das Hauptaugenmerk der Löschtrupps auf Nacktheit, allem voran die weibliche Brust, ganz besonders weibliche Nippel gelegt. Seit dem 1.1.2018 werden nun zudem auch Inhalte gelöscht, die Hassreden enthalten. Ich möchte deutlich sagen, dass ich auch der Meinung bin, dass etwas gegen Internetmobbing, gegen Diffamierung, persönliche Beleidigung und besonders gegen Gewaltandrohung unternommen werden musste. Das Problem ist aber, wer darüber entscheidet. Es sind leider keine ausgebildeten Richter, sondern völlig überlastete und mangelhaft ausgebildete Angestellte von Call-Centern, die in der Regel wenige Sekunden Zeit haben, um einen Beitrag einzusehen, zu beurteilen und zu entscheiden, ob er gelöscht werden muss oder nicht. Das schränkt die Freiheit im Internet massiv ein. Satire, die erstmal von Laien erkannt werden muss, ist so nicht mehr frei umsetzbar.

Clutch: Du hast nach der Löschung, deiner Enttäuschung in einem Facebook-Post kundgetan, Facebook hat daraufhin reagiert. Wie sah das aus?

Barbara: Eine Facebook-Sprecherin hat mir eine Nachricht geschickt und sich mit der Begründung entschuldigt, dass meine Beiträge „versehentlich gelöscht“ wurden. Das Problem liegt ja aber nicht in der Löschung allein. Mit jedem „Verstoß“ gegen die Gemeinschaftsstandards bekommt man den Hinweis, dass bei einem erneuten Verstoß der gesamte Account stillgelegt wird. Dadurch entsteht eine Schere im Kopf. Soll ich einen kritischen Beitrag posten oder riskiere ich damit, dass sich meine Präsenz in Luft auflöst?

Clutch: Was bedeutet dieser Konflikt für deine Zukunft in den sozialen Medien?

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Barbara: Durch den großen Presserummel um die Löschung meiner Bilder habe ich jetzt Rückendeckung. Ich gehe davon aus, dass Facebook bei mir jetzt vorsichtig agieren wird. Das löst aber die Gesamtproblematik nicht. Ich habe viele Nachrichten von anderen Seitenbetreibern erhalten, die mir von ähnlichen Schwierigkeiten berichteten. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dieses Problem zu lösen und ich hoffe auf eine möglichst breite Debatte, denn sie betrifft uns alle. Inwieweit können wir uns auf Dauer von einem amerikanischen Konzern abhängig machen, der unser geltendes Recht aushebelt und Regeln etabliert, die mit unserem Verständnis von Freiheit nicht im Einklang sind?

Clutch: Glaubst du das Gesetz hilft oder schadet der Meinungsfreiheit? Was müsste sich deiner Meinung nach ändern?

Barbara: Am Anfang eines Prozesses steht immer eine Debatte, die hoffentlich zu einer guten Entwicklung führt. Ich denke, dass wir mit unserem Grundgesetz eine stabile Richtlinie haben für das, was auch in den sozialen Netzwerken gelten sollte. Wozu also Gemeinschaftsstandards, die sich über geltendes Recht erheben? In einem Punkt gebe ich Bundeskanzlerin Merkel recht, auch wenn sie dafür viel Spott und Häme geerntet hat: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Nur weil jemand etwas bei Amazon bestellen, bei Google suchen, bei Facebook posten kann, versteht er noch lange nicht die gesellschaftsumwälzende Dimension, die das Internet und vor allem die sozialen Netzwerke mit sich bringen.

Clutch: Was nimmst du aus dem Konflikt mit? Machst weiter wie bisher?

Barbara: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Meine Arbeit ist in einem ständigen Wandlungsprozess, da gibt es kein „wie bisher“. Jedenfalls werde ich mich auch in Zukunft kritisch mit Facebook & Co. auseinandersetzen und Beiträge dazu erstellen. Die Sorgen wegen einer Löschung meines Accounts gehen im Moment gegen null.

Clutch: Barbara, vielen Dank für das Interview.

Barbara hat Recht. Die Lösung des Problems ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.  Eine Aufgabe, die uns alle betrifft. Das wohl bekannteste Schild von Barbara meint: „Hass ist krass. Liebe ist krasser.“ Einen Spruch, den sie gerne unter Hass-Schmierereien im öffentlichen Raum klebt. Wahrscheinlich ist das die Lösung. Wahrscheinlich muss die Politik endlich akzeptieren, dass das Internet kein kleines Parallel-Universum zu unserem Gesellschaftskosmos mehr ist. Ein mal eben verabschiedetes Gesetz, ohne die entsprechende Anleitung für die sozialen Netzwerke, aber mit umso horrenderen Bußgeldern ist auf jeden Fall nicht die Lösung. Wahrscheinlich muss man der Sichtung von Inhalten viel mehr Raum, viel mehr motivierte und gut bezahlte Mitarbeiter geben. Und wahrscheinlich muss die Gesellschaft endlich sorgfältig im Altruismus geschult werden. Anders ausgedrückt: „Hass ist krass. Liebe ist krasser“.

Diesen Artikel schrieb Svenja Tasch.

Zur Person:

Barbara möchte, dass ihre Arbeit unabhängig von ihrer Person betrachtet wird, daher achtet die Künstlerin sehr auf ihre Anonymität. Seit 2014 veröffentlicht sie Fotos von ihrer Kunst mit gesellschaftskritischen Bezug in den sozialen Netzwerken. Ihre Arbeiten wurden bereits in zwei Büchern veröffentlicht. Die Künstlerin hat über 330.000 Follower bei Instagram und knapp 650.000 Facebook-Fans.

(Beitragsbild: Barbara)

Clutch-Redaktion